Mit Scherf in die Große Koalition

■ SPD-Mitgliederbefragung: große Mehrheit für Scherf, haarkleine für Koalition mit der CDU

Ganze 20 SPD-Mitglieder haben Bremen gestern in die Große Koalition dirigiert. Hätten sie sich bei der Mitgliederbefragung ihrer Partei anders entschieden, wäre jetzt über Rot-grün verhandelt worden. „So viele Mitglieder haben die Grünen noch nie gesehen, wie bei uns hier für Rot-grün gestimmt haben“, sagte denn auch der frischgebackene neue SPD-Spitzenkandidat Henning Scherf am Abend und formulierte sein erstes Hauptziel: „Die SPD darf nach dieser knappen Entscheidung jetzt niemanden verlieren. Wir müssen also gerade auf die achten, die sich nicht durchgesetzt haben.“

Mit einer satten Mehrheit von 64,6 Prozent hatte Scherf (Porträt auf Seite 22) seinen Konkurrenten Hans-Henning Euler (35,4%) klar abgehängt. Der bezeichnete die Urwahl am Abend dennoch als „rundum gelungene Sache“. Über sein „gutes Ergebnis“ sei er „sehr zufrieden“, so Euler, „zumal ich mich in der Sache durchgesetzt habe“.

Tatsächlich war Scherf ja eigentlich für Rot-grün angetreten und muß seine Partei nun dennoch in die Große Koalition führen. An der Frage, ob das knappe Urwahl-Ergebnis von dem heute abend tagenden Landesparteitag denn auch offiziell abgesegnet wird, ließen Scherf und die Parteivorsitzende Tine Wischer gestern abend keinen Zweifel. Auch der komplette Landesvorstand hatte umgehend die Annahme der beiden Ergebnisse empfohlen.

Sowohl Scherf als auch Wischer sahen in dem knappen Ausgang der Entscheidung über die Koalitionsfrage kein Problem. „Ich bin durch das Votum nicht schwächer geworden“, sagte Scherf. Denn insbesondere die hohe Wahlbeteiligung von 54 Prozent der rund 9.300 Bremer SPD-Mitglieder sei eine gute Voraussetzung für die weitere Arbeit. „An eine so große Beteiligung hätte ich nicht geglaubt, obwohl ich Optimist bin“, meint Scherf.

Auch in einer weiteren Beziehung hatte sich die SPD-Basis gestern als unbekanntes Wesen geoutet. Völlig entgegen der Struktur in den Delegiertenversammlungen ergab sich nämlich im traditionell „linken“ Unterbezirk Bremen-Ost bei der Mitgliederbefragung eine deutliche Mehrheit für Rot-schwarz, im eher „rechten“ Unterbezirk West dagegen eine klare Mehrheit für Rot-grün. Der Bremer Norden stimmte erwartungsgemäß für eine Koalition mit der CDU, Bremerhaven dagegen für Rot-grün. In der Spitzenkandidatenfrage lag Scherf allerdings in allen Unterbezirken und fast allen Ortsvereinen deutlich vor Hans-Helmut Euler.

Die SPD-Landesvorsitzende Tine Wischer rechnet nun mit dem Abschluß eines Koalitionsvertrages bis zum 1. Juli. Für diesen Tag nämlich hat der Landesvorstand einen Landesparteitag einberufen, der die Große Koalition endgültig besiegeln soll. Nach den ersten Sondierungsgesprächen vor zwei Wochen sieht Wischer eine „sehr ernsthafte Bereitschaft“ der CDU, zu einer Vereinbarung mit der SPD zu kommen.

Ihre eigene politische Zukunft ließ Wischer gestern abend dagegen ausdrücklich offen. Erst am Samstag hatte Klaus Wedemeier sie für seinen Rücktritt mitverantwortlich gemacht (siehe oben) und schwere Vorwürfe gegen den von ihr geführten Landesvorstand erhoben. „Wenn die Koalitionsverhandlungen vorbei sind, werden wir sehen, welches für mich der richtige Weg ist“, sagte Wischer gestern.

Auf die anstehenden Koalitionsverhandlungen mit der CDU geht Henning Scherf mit gemischten eher Gefühlen. Schließlich hatte nicht zuletzt CDU-Chef Bernd Neumann kurz nach der Bürgerschaftswahl über den neuen SPD-Spitzenkandidaten gesagt: „Wenn die SPD jetzt alte Kameraden aus dem Hut holt, wäre dies für die Partei kein Neubeginn, sondern die Fortsetzung des endlosen Marsches in die Tiefe.“ Nun hofft Scherf, daß weitere persönliche Angriffe unterbleiben. Und: „Ich will beweisen, daß Rot-schwarz geht.“ Ase