■ Nebensachen aus Rio: Homophiles Klima an der Copacabana
Wenn sie nur wüßten, wohin mit dem Geld. Die Mehrheit von ihnen besitzt Fernsehen, Video, Mikrowelle, Telefon und Auto. Sie sind Doppelverdiener ohne Kinder, genießen das Nachtleben und gönnen sich abenteuerliche Fernreisen. Doch keiner will ihnen etwas verkaufen. So jedenfalls beschreibt die brasilianische Tageszeitung Jornal do Brasil das bittere Los der rund drei Millionen Homosexuellen im Land.
Keiner? Nur in der Kleinstadt São Paulo, wo über elf Millionen Menschen leben, erbarmte sich ein brasilianischer Unternehmer der verachteten, aber kaufkräftigen Konsumenten. Sein Reisebüro „Get together“ ist die einzige Agentur in Brasilien, die auf die speziellen Wünsche von Homosexuellen ausgerichtet ist. Im Programm: Hexenfest auf den polinesischen Inseln, ein Wochenende in Buenos Aires oder Schnupperausflüge in die Homo-Szene von San Francisco und London.
Doch diesmal geht die Reise nach Rio. Bei der 17. Internationalen Konferenz für Schwule und Lesben, die vom 18. bis 25. Juni zum ersten Mal in Lateinamerika stattfindet, wollen die „Hexenköniginnen“ und „Barbiepuppen“ nicht nur auf ihre unerfüllten Konsumwünsche aufmerksam machen, sondern die rechtliche Gleichstellung mit „normalen Pärchen“ fordern.
Die brasilianische Sexologin Martha Suplicy, Ehrenvorsitzende der Konferenz an der Copacabana, machte sich bereits erfolgreich verdient: Die Abgeordnete der brasilianischen Arbeiterpartei PT brachte zwei Gesetzentwürfe im brasilianischen Parlament ein, wonach die Diskriminierung aufgrund „sexueller Orientierung“ künftig unter Strafe stehen und die standesamtliche Ehe zwischen Gleichgeschlechtlichen erlaubt werden soll.
Utopische Vorstellungen in einem Macho-Land wie Brasilien? „In China“, so meint Claudio Nascimento e Silva von der brasilianischen Vereinigung für Schwule, Lesben und Travesties, „wären solche Forderungen noch undenkbarer.“ Allerdings würden in Brasilien Homosexuelle zwar nicht in sogenannten Arbeitslagern „umerzogen“, doch genössen sie auch keine rechtlichen Garantien zum Schutz vor Diskriminierung.
Daß Brasilien für Homosexuelle und Transvestieten alles andere als ein Paradies ist, zeigt die Statistik: Innerhalb der letzten dreizehn Jahren sind laut Nascimento 1.564 Homosexuelle ermordet worden. „Wir fordern Bürgerrechte für alle“, erklärt er. Der internationale Kongreß solle der brasilianischen Öffentlichkeit helfen, über die nationalen Grenzen hinauszuschauen: „Nicht nur in Brasilien werden Schwule und Lesben verfolgt und diskriminiert. In Chile, Peru, Ecuador und Nicaragua ist Homosexualität sogar ein Verbrechen“, vergleicht Nascimento. In den skandinavischen Ländern hingegen würden schwule und lesbische Paare gleichberechtigt anerkannt.
Politische Forderungen in klimatisierten Konferenzräumen zu formulieren reicht in Rio jedoch nicht aus. Sportliche Konferenzteilnehmer werden am Strand von Copacabana im Einklang mit den ortsüblichen Sitten bei den ersten olympischen Spielen für Schwule und Lesben (Gaymes) ihre Körper in der Sonne kreisen lassen. Die Leibesübungen im Sandstrand umfassen Volley- und Fußball, einen Vier-Kilometer- Minimarathon und Wettschwimmen. Gaymes-Koordinator Flavio Alves gibt sich offensiv: „Wir wollen über Homosexualität reden, das ist absolut keine Schande!“
An schaulustigen Cariocas, wie sich die Einwohner Rios nennen, wird es bei der Olympiade nicht fehlen. Denn tagsüber trifft man insbesondere Transvestiten äußerst selten an der Copacabana an. Im Morgengrauen hingegen drängeln sich „Barbies“ und „Dragqueens“ in den Nachtklubs und am Straßenrand. Astrid Prange
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