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"Den Kreml bekäme er nicht"

■ Christo verhüllt: Beim ehemaligen Innensenator Heinrich Lummer gäbe es keine Verpackungs-Aktion / "Symbol für alle, die sich im Herzen als Deutsche fühlen"

Heinrich Lummer (CDU), von 1981 bis 1986 Innensenator, war vor elf Jahren entschieden gegen die Reichstagsverhüllung. Heute ist der CDU-Rechte Mitglied des Bundestags.

taz: Herr Lummer, ist die Reichstagsverhüllung für Sie Kunst?

Heinrich Lummer: Nein. Heute ist eine Tendenz vorhanden, daß jeder, der sich selber zum Künstler erklärt, auch ein Künstler ist. Das größte Geschmiere wird als Kunst apostrophiert, und niemand kann was dagegen sagen, weil es ja bekanntlich die Freiheit der Kunst gibt. Aber für mich hat Kunst immer noch etwas mit Können und Ästhetik zu tun.

Ärgern Sie sich, daß die Verhüllung jetzt doch stattfindet?

Vor Jahren hätte ich mich noch geärgert, aber die Gegnerschaft ist durch das freudige Ereignis der Wiedervereinigung gebremst worden. Jetzt hat der Reichstag nämlich wieder eine Funktion, und der Leerstand, der dem deutschen Volke gewidmet war, wird in der Weise wie früher nicht mehr existieren. Es ist also ein gemilderter Widerstand, aber ich bin immer noch ein Gegner der Verhüllung.

Warum?

Das ist für mich ganz einfach. Wenn ich das richtig sehe, ist das primär ein kommerzielles Unternehmen. Auch von seiten der Befürworter, zum Beispiel dem Senat, wird es primär als ein Instrument gesehen, mit dem man den Tourismus nach Berlin holen will. Für mich ist der Reichstag ein Wert, den ich nicht für den Tourismus instrumentalisieren lasse. Wenn die Engländer ihre Westminster Abbey dafür hergeben oder die Amerikaner das Weiße Haus – voilá – dann soll Christo es machen. Ich glaube, auch die Russen gäben ihren Kreml nicht her. Die machen das nicht, gewiß nicht. Aber wir tun es!

Welchen Wert hat der Reichstag für sie?

Das ist ein ideeller Wert, den kann man nicht erklären. Ebenso wie man alle wichtigen Werte nicht definieren kann: Liebe, Kunst und Freiheit. In unserer heutigen Zeit haben wir sowieso Schwierigkeiten mit allen Symbolen oder mit dem, was sakral ist. Alles wird relativiert, minimalisiert und zum Teil in den Dreck gezogen. Der Reichstag hat eben einen hohen Symbolwert für diejenigen Deutschen, die sich im Herzen als Deutsche fühlen und deutsche Identität leben.

Finden Sie die Verpackung Antirepublikanisch?

Nein, das ist weder antirepublikanisch noch republikanisch, noch monarchistisch. Es ist einfach nur banal kommerziell.

Wenn Sie Verpackungskünstler wären, was würden Sie einpacken?

Ich kann mir nicht vorstellen, einen solchen Job auszuüben, das geht nicht in meine Vorstellungswelt.

Werden Sie sich die Verhüllung ansehen?

Es wird unvermeidbar sein, daß ich da mal vorbeifahre, aber gezielt fahre ich nicht dorthin. Interview: Nina Kaden

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