Geködert mit Zigarren und Bier

■ In Bremerhavens Stadttheater beweist man Brechts Behauptung: „Mann ist Mann“ tritt In Bremerhaven die Beweisführung an

„Galy Gay, nimm dich vor den Fischweibern in Acht, sie sind lüstern und auf Männer aus, und du hast ein weiches Gemüt“, sagt Galys Frau zu ihrem Mann. Der einfache Packer vom Hafen macht sich frühmorgens auf den Weg, um eine Flunder zu kaufen. Aber nicht nur vor den Frauen hätte er auf der Hut sein müssen, sondern mehr noch vor den Soldaten der englischen Armee. Galy, der in zehn Minuten zurück sein wollte, wird am Ende des Tages seinen Namen gegen einen anderen ausgetauscht haben und als Mitglied der Armee in der britischen Kronkolonie Indien zum Dienst an eine Grenze verschoben werden. „Mann ist Mann“, Berthold Brechts Parabel vom Mann, der nicht nein sagen kann, hat im Stadttheater Bremerhaven einen kongenialen Regisseur gefunden. Holger Schultze zeigt im Großen Haus ein farbiges Jahrmarkts-Spiel, eine Clownerie, in der sich Karl Valentin und Charlie Chaplin die Hände reichen. Dabei verliert er den bissigen Sarkasmus dieses „Lustspiels“ nicht aus den Augen. Vor allem hat er einen wunderbaren Hauptdarsteller gefunden: Kay Krause spielt denn rothaarigen irischen Packer, den weichen Galy, dem Stück für Stück die alte Identität weggerissen wird, mit einem maskenhaften Lächeln auf dem Gesicht, unter dem - ganz leise - der kalte Schrecken lauert.

Die gesamte Spielfläche (Ausstattung: Jürgen Lancier) ist in freundliches Grasgrün getaucht, von dem sich die knallroten Uniformen der Soldaten scharf abheben. Da sie ihren vierten Mann beim Einbruch in eine Pagode verloren haben, brauchen sie bis Mitternacht einen neuen. Als Galy ihnen über den Weg läuft, ködern sie ihn mit Zigarren und Bier. Schließlich bieten sie ihm sogar eien (unechten) Armee-Elefanten an, den er gewinnbringend weiterverkaufen dürfe. Galy geht auf den Scheinhandel ein, er wird zum Schein verhaftet und zum Tode verurteilt. In der Not akzeptiert er endlich ein anderer zu sein und verleugnet die eigene Frau (Ingrid Müller-Farny), die ihn ebenfalls kaum mehr erkennt.

„Die Verwandlung des Packers Galy Gay in den Militärbaracken in Kilkoa im Jahre neunzehnhundertfünfundzwanzig“ - so der Untertitel - gehört nicht zu Brechts stärksten Stücken. Die Beweisführung überzeuge nicht, schreibt Georg Hensel. Dieser Galy sei ein extremer Einfaltspinsel, und das der Mensch durch rein materialistische Mittel in seinem Kern zu verwandeln sei, eine romantische Vorstellung der Materialisten. Aber Holger Schultze gelingt es, aus dem problematischen Gleichnis ein Höchstmaß an doppelbödigem Vergnügen zu ziehen: Er setzt auf Tempo, auf ausgefeiltes Ensemble-Spiel und auf die zupackend gebotenen Songs von Paul Dessau und Kurt Weill (musikalische Leitung: Christoph Wohlleben).

Musikalischer Höhepunkt ist Susanne Trempers geschmeidige Interpretation des Weill-Songs „Song von Mandelay“. Die prominente Gastschauspielerin spielt die Rolle der Kantinenwirtin Leokadja Begbick mit rasanter Dynamik. Holger Schultzes gradlinige Inszenierung ist erfrischend heiter und doch nicht ohne Widerhaken: Die Clownerie um den verführten Mann, um den Mann ohne Persönlichkeit, der bei Bedarf zum Schlächter umgemodelt wird, hinterläßt einen herben Nachgeschmack, ein bitteres Aha-Gefühl. Wer morgens loszieht, um Fisch zu kaufen, sollte sich in Acht nehmen. Das gilt nicht nur für Bremerhaven.

Hans Happel

Vorstellungen:14., 21., 23., u. 25., Stadttheater, Großes Haus