■ Wühltisch
: Die Zentralverriegelung

Die tollkühnen Männer in ihren rasenden Kisten, Jim Clark, Jochen Rindt und Ayrton Senna, starben nicht für Freiheit, Abenteuer und Selbstverwirklichung, schon gar nicht für das menschliche Bemühen, von hier nach da zu kommen, sondern für das Amalgam der Industriegesellschaft: Sicherheit. Brennende Asbestanzüge waren so gesehen nur ein übertrieben emphatisches Plädoyer für die Kasko- Versicherung.

Die Mission scheint erfolgreich gewesen. Dreifacher Auto- Überschlag in Zeitlupe bei klassischer Musik, der Geschwindigkeitsrausch wird nunmehr im Zeichen der Langsamkeit zelebriert. Wo Airbags wallen und das stählerne Gehäuse des Seitenaufprallschutzes posiert, protzt niemand mehr mit der Beschleunigungszeit zwischen Null und Hundert.

Wenn Lotto-Lothar nächtens bierdumpf entschlummert, träumt er nicht von Highway und Lamborghini, sondern höchstens von dessen Wegfahrsperre. Das Dilemma, die schnellen Gefährte nicht mehr sicherer machen zu können, lösen die wackeren Ingenieure zunehmend ästhetisch. Statt Sicherheit aus Schwedenstahl kubistische Seitenairbags. Ganz nach ihren antiken Erfindervorbildern, die kein Nützlichkeitsdiktat kannten, basteln sie nun an Konstrukten des Wunderbaren.

Vorläufiger Höhepunkt dieser Entwicklung ist die Zentralverriegelung. Die einzige Gefahr, die hier noch zu bannen wäre, lauert im Sozialen. Die Zentralverriegelung bewahrt vor der Schusseligkeit, das Drücken des Knöpfchens zu vergessen. Mit einer dezenten Befehligung der Elektronik schließt man auch noch die Seitenfenster. Welch ein Triumph der Höflickeit, Hydraulik statt Beifahrerermahnung.

Das alles hat nur noch schwache Bindung zum Rationalen. Das Prinzip Zentralverriegelung ist virtuelle Verschließbarkeit. Was hülfe in unseren Zeiten aber die beste Diebstahlsicherung, wo jeder Kontakte zu irgendeinem Gaudino-Clan pflegt? Der Zweck hängt an einem dünnen Faden über lauter Geträumtem. Die Befriedigung der Machtphantasien von Angestellten – „alle Türen schließen auf mein Kommando“ – ist ein noch zu überwindendes Ungeschick der Branche. Die Zukunft gehört der serienmäßigen Zentralverriegelung in allen Klassen.

Den Hinweis auf das Geheimnis Zentralverriegelung verdanken wir übrigens Kapielski und Freunden. In der bedeutsamen Veröffentlichung „Der Einzige und sein Offenbarungseid. Verlust der Mittel“ (Kramer-Verlag, Berlin 1994) heißt es vielsagend: „Neulich fragt einer, welches das schönste Geräusch ist, das er kennt, da sagt der: ,Zentralverriegelung.‘ Wie bitte? Das ist, wenn du im Auto sitzt, kannst du mit dem Schlüssel sämtliche Schlösser, Türen, Kofferraum, alles auf- und zuschließen, das dreht sich dann so ,Krllbsch‘ einmal um dich im Kreis, is' wundersam und wunderbar. Und E-musikalisch.“ Weil Funken nicht da ist, schweift das Gespräch ab, und man erfährt nichts weiter über die Zentralverriegelung. Ihr ganzes Mysterium ist noch nicht gelüftet. Harry Nutt