Bekannte Boheme-Originale

■ Release-Party zur Single mit Helgoland, Unhold, Pico Trip, Happy Grindcore, dem Wirr Sound System und Teer gleene Muck

Sie wirken genervt, aber man weiß nicht warum. Sie wirken trotzig, aber man weiß nicht genau, wofür sie kämpfen. Unter Hamburger Fanzinemachern und Musikern gibt es ein paar, denen man anmerkt, daß wir nur zu einem kleinen Teil Zeuge der Kämpfe werden, die sie mit sich ausfechten. Victor Giovanett ist so jemand, der unbeirrbar mit dem Weitermachen weitermacht. Giovanett verfügt über die Beharrlichkeit von Don Quichote und den Tatendrang eines Tausendsassa. Für eine Compilation-Single hat das Boheme-Original ein paar Bekannte zur Stückabgabe aufgefordert und für das Cover eine Art Linernotes verfaßt. In dem Text mit dem Titel „Leben“ bringt Giovanett die Nöte seines Daseins ohne Mühe mit Begriffen wie „Kriegsgefangenschaft“ oder „Konzentrationslager“ in Verbindung.

Dem nicht unheiklen Gedankenabriß steht auf Platte, kurz nach dem Wonnemonat Mai, Giovannets aka Mucks Version von „Jingle Bells“ gegenüber. Außerdem trommelt er auf einer Autobahnfahrt auf einem Koffer, während zwei Kollegen vom Wirr Sound System ein Grindgrunzen aufführen und zweimal „O, mein Gott“ rufen. Wären diese Aufnahmen vor 15 Jahen veröffentlicht worden, hätten sie Aufbruchstimmungen möglich gemacht. Jetzt entwickeln sie eine verschrobene Radikalität: Leute, die mit nichts etwas zu tun haben wollen, spielen Stücke, die nicht zu viel sagen sollen.

Nicht ganz so viel Angst vor Vereinnahmung treibt Unhold mit ihrem dreiminütigen No Means No. Pico Trip garantieren für nichts. Happy Grindcore machen Musik für Vulgär-Nihilisten ohne Zeitdruck. Helgoland machen Musik aus Liebe, wurden Technokraten aus den Umständen heraus und entwickeln Ambition als erste Instru-mentalrock-Pflicht. Weder die Einzelbeiträge der Bands noch die Linernotes zeigen jedoch an, ob die Beteiligten eine bestimmte Idee verbindet, ob man sich von einer anderen absetzen oder sich an einer dritten reiben wolle. So kommt der Eindruck auf, daß es sich hier um ein Unternehmen handelt, dessen Grundlage das gemeinsame Wohnviertel oder die Stammkneipe bildet. Wenn Leute, die sich schriftlich und musikalisch an anderer Stelle auch schon äußern, auf diese Art gemeinsame Sache machen, dann darf man annehmen daß sich welche auf Vinyl darüber äußern, daß sie Freunde haben. Diese Platte zu hören bedeutet damit den Luxus, die persönliche Bekanntschaft mit den Musikern vorauszusetzen.

Kristof Schreuf 18. Juni, Café Planet, 21 Uhr