Die Vorwegnahme der EU

■ Die Reality Brothers verstehen Dancefloor als Workshop ohne Zentrum

Was läßt sich schon über eine Band sagen, die weder ideologische Kanten aufwirft noch musikalisch stilbildend wirkt? Immerhin eines läßt sich gewiß über die Band – besser noch: die möglicherweise nur zufällig in Berlin zentrierte Horde von Kosmopoliten – äußern: Sie fertigen einen derart professionellen Dancefloor, daß man sie kaum in Deutschland verorten wird. Die Reality Brothers sind so, nach den Produktionen von Super Marius, das jüngste Beispiel für ein Nachziehen hiesiger Macher in bezug auf ebenso dichte wie fette Produktionen. Und es ist eben jene Produktion, die die heterogenen Elemente anzieht, ohne sie gänzlich zu homogenisieren. Die Produktion, der Sound, wird zur Struktur, die nahezu alles aufnehmen kann. Sound statt Stil wird zum Markenzeichen.

Soul, Rap, Raggae, House, Talkin' Loud, Mo Wax, Schuhplattler werden zumindest trilingual wechselweise in Französisch, Spanisch oder Englisch (als Vorwegnahme einer EU mit britischem Vorsitz) artikuliert, ohne daß diese Abwechslung wie ein Sampler wirkt oder aber in Beliebigkeit abdriftet. Selten hat man hier so avancierte, sichere Beats gehört wie auf ihrer letztjährigen LP Lowlife, die noch dazu auf dem Tanzboden funktionieren.

Zu den Fakten. Die Reality Brothers haben keinen Frontman im eigentlichen Sinn, statt dessen laden sich die sieben Musiker (live werden sie noch aufgestockt) mit den ohnehin recht unterschiedlichen Plattenregalen Gäste wie die Ausnahme-Toasterin Ganesha aus Hannover. „Es gibt da eine lange Tradition, die bis zu Motown und nach Jamaika reicht“, zieht der Rapper und Produzent Tom historische Bezüge zu ihrer Arbeitsweise. „Bands holten sich einen Sänger nach dem anderen ins Studio, die dann jeweils zur Musik improvisierten, auch Text erfanden. So entstanden dann auch da unterschiedliche Versionen. Heutzutage wird dieses Prinzip häufig bei Remixen angewandt, wenn unterschiedlichen DJs das gleiche Basis-Stück angeboten wird.“

So stechen auch die bisher drei Maxis der Reality Brothers aus der grassierenden Remixunlust heraus, die 3 Sekunden zusätzliche Beats als „Was weiß ich“-Remix verhöckert. Sie spielen mit ihrem Material und lassen es auch mal auf anderen Beinen laufen, vermitteln aber immer mit viel Geschmack. Doch eben in dieser Geschmackssicherheit, die manchmal allzu geschmäcklerisch gerät, liegt eine der Fallgruben, in die sie tappen. Eine andere liegt in derVerwendung der Sprache als Ton und weniger als Informationsübermittler. Überwiegend musikreferentielle Texte werden nur notdürftig von Themen wie Aspirin und Geldmangel assistiert. Nicht daß ein jeder Tonträger zum Farbbeutelwurf aufrufen muß, ein wenig mehr „heiße Themen“ ließen sich gewiß anfassen. Aber das wurde ja bereits gesagt.

Volker Marquardt

Mi, 21. 6., Fabrik, 21 Uhr