Sippe, sappe, auf die Klappe

■ Kabarett-Festival: Andreas Vitásek mit Wiener Kleinkunst

Wenn man seit 13 Jahren mit Solo-Programmen auf der Bühne steht wie der Wiener Andreas Vitásek, ist es Zeit Bilanz zu ziehen. Das dauerte am Dienstagabend auf Kampnagel ganze zwei Stunden.

Auf einer schwarzen Bühne mit wenigen Requisiten – Tisch, Stuhl, Luftballon und Mantel – entführte Andreas Vitásek die Zuschauer in zunächst ganz gewöhnliche Alltagssituationen. Im Supermarkt will er zwei Batterien kaufen, es gibt aber nur Viererpacks. Aus der sich daraus entwickelnden Diskussion über den Kauf einer halbierten Packung entsteht bei Vitásek in zwei, drei Sätzen ein Anarcho-Aufstand im Konsum. In einer anderen Szene geht ein Mann nur eben Zigaretten holen, findet aber weder den Automaten noch seine gewohnte Wirklichkeit wieder, statt dessen eine Frau, deren Mann vor Jahren beim Zigarettenholen verschwunden ist.

Der Hintersinn, das Absurde im täglichen Leben, das ist es, was Andreas Vitásek ergründen will in gespielten Szenen, in Gedichten und immer wieder in Pantomimen. Mit einem einzigen Requisit, einem Geschirrtuch, stellt der Schauspieler in einer „Bar in Marseille“ ein halbes Dutzend Menschen dar und erzählt ohne Worte zwanzig Minuten lang eine verwickelte Geschichte um käufliche Beziehungen. Am Ende steht – wie so oft an diesem Abend – der Tod.

Zum Gevatter Tod wird den Wienern ja allgemein ein besonderes Verhältnis nachgesagt. Und so betrat Vitásek denn am Schluß des Abends in Gestalt einer Handpuppe mit Totenkopf leibhaftig die Bühne und entpuppte sich als zwar leicht begriffsstutziger, aber nichts desto trotz verschmitzt, humorvoller Bursche. „Sippe, sappe – jetzt wird gestorben“ kommentierte er befriedigt jede sich nur entfernt anbahnende Chance zum Exitus.

Das alles wurde vorgetragen mit einer Melange aus Heiterkeit und Melancholie. Böse oder bissig aber war der hintersinnige Wiener fast nie. Selbst wenn er auf aktuelle Ereignisse – wie den Skandal um den österreichischen Kardinal Groer, dem sexueller Mißbrauch von Ministranten vorgeworfen wird – anspielte, blieb der Ton verbindlich. Für einen Beitrag zum Kabarett-Festival ist das erstaunlich, für einen Kleinkünstler akzeptabel. Nur einmal gestattete Vitásek sich Tabu-Bruch und Bosheit: Als er Kinder als „menschliche Bonsais“ bezeichnete und vorschlug, ihnen – analog zum Muttertag – einen Kindertag zu widmen. An diesem Tag könnte man die Kleinen mitten in der Nacht mit einer Tasse lauwarmem Kakao mit Haut wecken, ihnen ein Gedicht aufsagen, das ihre Kindlichkeit preist, und das Fest mit einem selbstgebastelten Geschenk krönen – etwa einem Hund aus Klopapierrollen.

Iris Schneider