Vom Erbrechen Von Martin Sonneborn

Wer kennt das nicht: Im Verlaufe einer Abendgesellschaft hat man seinem Körper Dinge oder Getränke in unverantwortlicher Menge und schwer zu rechtfertigender Vielfalt zugeführt. Oder man ist schwanger oder fliegt. Jedenfalls setzt unverhofft eine rückläufige Peristaltik von Magenmuskulatur und Speiseröhre ein, welche trotz grundsätzlicher Bedenken zu einer abrupten Entleerung des Mageninhalts über den Mund nach außen führt. Wohin aber mit dem Anverdauten? Die Berichte von Betroffenen verweisen hier auf verschiedenste Möglichkeiten.

Im Flugzeug etwa bietet sich die traditionelle Tüte an, im Taxi soll es laut Sportreporter Solenato auch schon mal in die Handtasche der Begleiterin gegangen sein. Der Schäferhund der Dozentin für Publizistik, Katharina Weißgerber, erleichterte sich gegebenenfalls einfach auf den Teppich (was nach meiner Erfahrung als verdammt unangenehme Sache gesehen werden darf); und als Heer Pehle sich anläßlich eines geselligen Grillens einige Dinge nochmals durch den Kopf gehen ließ, traf es direkt den Rost. Frau Dr. Ott dagegen widerstand einmal schwanger in der teuersten Boutique an der 5th Avenue dem Drängen ihrer Magenmuskulatur und schaffte es wenigstens noch, die Ladentür zu öffnen und den Kopf rauszuhalten. Sportreporter Solenato öffnete seinerzeit ein Waggonfenster und vomierte während einer Zugfahrt von Frascati (!) nach Rom anläßlich einer langgezogenen Rechtskurve kurzerhand ins sonnige Italien.

Von Herrn Rethmeier, der seine Examensarbeit über Kleinbahnen im sonnigen Westfälischen schrieb und der selber nicht gerade ein Riese ist, geht das Gerücht, daß er bei einer seiner Feten auf eine Trittleiter gestiegen sei, um sich aus größerer Höhe an der Wand zu vergessen und damit den Verdacht auf andere, längere Gäste zu lenken. Und eine Fete war es auch, von der die Dame Tanja nachts den Weg in ihr Elternhaus und zur Küche fand, wo sie sich zielstrebig in eine herumstehende Kuchenform entleerte, die dann der Ordnung halber im Backofen verstaut wurde. Dank der präzisen Vorgehensweise ihrer Mutter hatte sie später bei der Beseitigung der Spuren weniger Probleme, als wiederum Herr Solenato, der – weitgereist! – einst ähnliche Spuren auf den unterliegenden Fensterbrettern in der Via Catania hinterließ, als dort im dritten Stock eine römische Salami sein Zäpfchen zum zweiten Mal passierte. Und passiert wurde auch Herr Hanf, der sich bei einer Münsteraner Feier mit den anwesenden Gästen nicht recht zu amüsieren vermochte, zumal er ausgiebig von irgendeinem Langweiler bedrängt wurde. Obwohl er sich äußerst wortkarg gab und verstärkt offerierten Getränken widmete, redete der andere ohne Unterlaß auf ihn ein, folgte ihm munter durch alle Räume und war nicht abzuschütteln. Als aber dem Magister Hanf alles zuviel wurde, ging er auf den Balkon, fragte den Anschlußsucher trocken: „Sag' mal, kannst du das auch?“, beugte sich über die Brüstung und brach in den Garten. Der Mann konnte das nicht.

Fassen wir noch einmal zusammen: Als erprobte Zielorte bei rückläufiger Peristaltik dürfen fortan gelten: Tüten, Handtaschen (Taxi), Teppiche, Roste, 5th Avenue, Italien. Und Wand, Kuchenform, Fensterbrett bzw. Garten. Soviel fürs erste vom Erbrechen.