Die große Koalition ist für die SPD einfacher als die Ampel

■ Carsten Sieling (36), Diplom-Ökonom und bisher Referent der Arbeiterkammer, ist einer der „neuen“ in der SPD-Fraktion. Er gilt als profilierter linker Kopf. Jetzt verhandelt er mit der CDU.

taz: Ich gehe davon aus, daß Sie vor dem Hintergrund ihres politischen Engagements und der damit zusammenhängenden beruflichen Tätigkeit bei der Arbeiterkammer in die Bürgerschaft wollten, um eine rotgrüne Koalition mitzuvertreten. Bereuen Sie jetzt diesen Schritt?

Carsten Sieling: In der Tat war ich für eine rotgrüne Koalition, dafür haben ich auch in der innerparteilichen Auseinandersetzung, soviel es mir möglich war, geworben. Es war aber auch schon bei meiner Nomierung klar, daß aus dem Wahlergebnis sich eine andere Koalition zwingend ergeben könnte. Ich bin nicht in die Bürgerschaft hineingegangen als jemand für Rotgrün, sondern als jemand für Rot. Mir geht es um das Profil der SPD, auch bei meiner Arbeit in der Bürgerschaft, daher bereue ich diesen Schritt nicht.

Die SPD wird viele Federn lassen und Sie werden oft Ihre Hand heben für Dinge, gegen die Sie eigentlich sind.

Das ist immer so in Koalitionen, das wäre auch bei Rotgrün so gewesen. Es kommt jetzt bei den Koalitionsvereinbarungen darauf an, daß sich wichtige sozialdemokratische Eckpfeiler wiederfinden.

Nun hat es in den letzten Jahren für die SPD eine einfachere Situation gegeben, von den Mehrheitsverhältnissen jedenfalls. Die klaren sozialdemokratischen Posiotionen haben die Wähler nicht überzeugt, im Gegenteil.

Das ist richtig. Meine Kritik war immer, daß das bei weitem nicht vernünftig rübergebracht worden ist. Die Ampel war aber komplizierter, weil die SPD mittendrin war und von beiden Seiten an ihr gezerrt wurde. Das muß diesmal anders laufen, die Eigeninteressen der SPD müssen deutlicher artikuliert werden. Die derzeitigen Koalitionsverhandlungen haben in diesem Sinne gut begonnen.

Das würde bedeuten: Für die SPD hat sich die Lage verbessert im Verhältnis zur Ampel?

Schon vor der Wahl mit der Entscheidung, daß man in eine Ampel-Situation nicht mehr hinein will. Vor dem Hintergrund hat sich die Situation in der Tat verbessert. Noch besser wäre das natürlich unter Rotgrün gewesen, weil die Programmübereinstimmung größer ist.

Was das Programm angeht, muß die CDU in der Bildungspolitik und in der Sozialpolitik eine Wende fordern. Ist für einen Sozialdemokraten die Vorstellung, das mittragen zu müssen, nicht ganz düster?

Noch liegen keine Einzelheiten vor...

Es gibt das Wahlprogramm der CDU...

... gut, aber es gibt auch die Aussage der CDU, daß man den Schulfrieden in der Stadt nicht aufkündigen will. Konsens besteht über das Programm Stadtreparatur, in dem die Schulen auch vorkommen.

Das betrifft die Bausubstanz.

Ja, aber mehr ist konkret bisher nicht auf den Tisch gekommen. Nächste Woche wird es richtig spannend.

Aber zu der Frage des Sparens im Sozialbereich: Das bisherige Verfahren Aufgabenkritik bedeutete: plötzlich muß man eine große Sparquote erbringen und die konsumtiven Bereiche sind besonders hart dran. Jetzt ist das Verfahren anders. Alle Ressorts sind aufgefordert, einen Finanzrahmen einzuhalten. Da wird genauso das Wirtschaftsressort und das Häfenressort unter Druck kommen. Und wer konsumtiv nicht streichen kann, muß dann Preise und Gebühren erhöhen.

Das Wirtschaftsresssort hat den großen Batzen Investionen, die außerhalb der Betrachtung bleiben, weil sie möglicherweise produktiv sein könnten.

Aber da Wirtschaftsressort hat im WAP 70 Millionen Mark an Zuschüssen für seine Gesellschaftern, das Wirtschaftsressort hat über die Preise für Gewerbeflächen und anderes die Möglichkeit, seine Einnahmen zu verbessern.

Ist vorstellbar, daß die CDU es akzeptiert, die Unternehmen stärker zu Kasse zu bitten?

Die Details wird man in der nächsten Woche sehen. Die CDU hat sich zum Beispiel nicht dem Gedanken verschlossen, über die Gewerbesteuer zu reden.

In der bremischen Wirtschaftspolitik gibt es eine erstaunliche Kontinuität bei allem Parteiwechsel an der Spitze. Was Werner Lenz gemacht hat, hat Beckmeyer fortgeführt und Jäger mußte keine Wende einleiten. Das liegt natürlich auch an dem Staatsrat Haller, der das gut im Griff hat. Soll das so weitergehen? Beckmeyer wird Wirtschaftssenator, der Staatsrat wird bleiben...

Ob irgendwelche Staatsräte bleiben, ist noch nicht diskutiert worden. Klar ist, daß der Staatsrat Wirtschaft nicht an den Koalitionsverhandlungen beteiligt und deshalb seine Vorschläge über die Presse lancieren muß. Früher saß er mit am Tisch.

Die Frage ist, wer wird dann Wirtschaftssenator.

Ressortverteilung ist noch nicht diskutiert.

Aber an Beckmeyer geht kein Weg vorbei.

Meines Erachtens geht kein Weg an Beckmeyer vorbei, ja. Wenn das mit dem Häfenressort zusammengelegt wird, dann word man sehen, wie sich die Ressortspitzen sortieren. Das ist alles noch offen.

In Ihrer Funktion für die Arbeiterkammer haben Sie die Technologiepolitik des Ressorts analysiert und eine herbe Kritik formuliert. Werden Sie diese Kritik auch im Parlament vertreten als SPD-Abgeordneter?

Ich werde meine Ansichten natürlich vertreten, insbesondere wenn sie auf Analyen beruhen. Bei der Untersuchung zum technologiepark war die hochaktuelle Grundfrage, welche Beschäftigungseffekte die Förderung hat und wie die Kosten-Nutzen-Relationen sind. In dieser Studie sind wir zu dem Schluß gekommen, daß diese Kosten-Nutzen-Relation verbesserbar ist. Das ist in diesen Koalitionsverhandlungen das zentrale Thema: Mit weniger Geld genauso viel oder sogar mehr erzielen durch zielgerechtere Auflagen.

Fürchtet man in der SPD nicht, daß es einen kleinen Aufstand in Bremen gibt, wenn die CDU die Innenpolitik macht und die SPD es mitzuvertreten hat?

Alles muß in der Koalitionsvereinbarung gefaßt werden. Das wird nicht stehen, daß die Rathausarkanden von Gammlern und Bettlern frei gemacht werden. Das hat die CDU auch bisher so drastisch nicht formuliert wie die AfB...

Wie der Sozialdemokrat Rebers..

wie der Ex- Sozialdemokrat Rebers.

Wie Rebers noch als Sozialdemokrat.

Ja. Aber schon mit dem Fahrschein in der Tasche. Jeder Senator wird sich in den Rahmen der Koalitionsvereinbarungen begeben.

Aber natürlich wird es in der Stadt zu Unruhen kommen bei einem solchen Einsparprogramm. Diesen Punkt hätten wir aber auch unter Rotgrün machen müssen.

Bisher stand Carsten Sieling bei Demonstrationen meist auf der Straße.

Bei berechtigten Demonstrationen sicherlich. Das werde ich als Abgeordneter auch tun.

Das bedeutet: Um 11 Uhr in Fraktionsdisziplin etwas beschließen und um 12 Uhr dagegen demonstrieren?

Nein, so geht das nicht. Natürlich muß ich hier und da Dingen zustimmen, die ich eigentlich so nicht richtig finde. Das ist der Preis dieser Koalition, das ist die Autorität dieser Mitgliederbefragung. Ich bin selber gespannt, wie ich mit den Konflikten, die das birgt, umgehen werde. Int.: K.W.