Herz und Schaufel

■ Auf den Spuren von Emmerweibern oder der „Karschin“ in Berlin-Mitte

Vor dem Roten Rathaus steht eine sportliche junge Frau in Muskelshirt und Jogginghose. Sie hat eine Schaufel geschultert, aber sie rührt keinen Finger. Das kann sie auch gar nicht, denn die anonyme Arbeiterin ist eine Plastik, ein sozialistisches Denkmal für die Berliner Trümmerfrauen. Daß Frauen anderer Leute Müll wegräumen, ist normal, daß ihnen dafür ein Denkmal gesetzt wird, ist die Ausnahme. Und so führt der Spaziergang auf den Spuren berühmter und unbekannter Frauen auch nur an wenigen greifbaren Zeugnissen vorbei. Die meisten dieser Berlinerinnen, die in den letzten zweihundert Jahren hier lebten, sind spurlos verschwunden.

Wo es nicht mehr viel zu sehen gibt, hat Claudia Meurer von der Agentur „Kanzler und Partner“ um so mehr zu erzählen. Die Tour durch Berlin-Mitte beginnt am Koppenplatz, wo sich im 18. Jahrhundert ein Armenhaus für Frauen befand. Wer hier lebte, hatte schon fast die letzte Ruhestätte erreicht – die Aufsicht über die Frauen führte der Totengräber des benachbarten Armenfriedhofs. Hinter der Sophienkirche stoßen wir auf eine verwitterte Gedenktafel für die „Karschin“. Die autodidaktische Dichterin und siebenfache Mutter Anna Luisa Karsch schlug sich mit Auftragsdichtung durchs Leben und wurde als literarisches Wunderwesen durch die Salons gereicht. Was der Karschin zum Broterwerb diente, war anderen Damen pures Vergnügen.

Wo einst das literarische Leben in den Salons von sich reden machte, stehen heute Supermärkte, Fastfood-Restaurants oder das Lokal für einsame Streuner mit dem geistreichen Namen „Zungenkuß“ .

Der historische Streifzug führt auch zu den vielen Namenlosen, deren Arbeit keine Gedenktafel würdigt. Claudia Meurer untermalt ihre Spurensuche mit anschaulichen Anekdoten und Quellenzitaten. So förderte Friedrich Wilhelm I., der Soldatenkönig, weibliche Berufstätigkeit, indem er einen Spinnzwang für Frauen einführte. Ohne die Arbeit in den Textilmanufakturen am Zwirngraben hätten sich die Ärmsten sonst sicher schrecklich gelangweilt, das bißchen Haushalt und die paar Kinder versorgt frau doch nebenbei ...

Schwerstarbeit leisteten auch die Trümmerfrauen, die übrigens etwas anders gekleidet waren als ihre flotte Vertreterin vor dem Rathaus vermuten läßt. Die Emmerweiber, deren überraschende Geschichte am Ende der lehrreichen Tour steht, waren freiberuflich tätig. Worin ihre typisch weibliche Arbeit bestand, soll hier nicht verraten werden. Anne Winter

„Berühmte Berlinerinnen: Frauengeschichte(n) in Mitte“, Nächster Termin: 5. 7., 19 Uhr, Treffpunkt: Koppenplatz. Infos bei Kanzler & Partner, Tel.: 6 94 94 90