: Die Schlacht um Sarajevo beginnt
■ Bosnische Armee im Vormarsch auf die belagerte Hauptstadt / UNO machtlos
Sarajevo/Zagreb (rtr/AFP/dpa) – Die bosnische Regierungsarmee ist angetreten, den 38 Monate alten Belagerungsring der Serben um Sarajevo aufzubrechen. Seit gestern früh sind die zahlenmäßig überlegenen Regierungstruppen an drei Fronten rund um die bosnische Hauptstadt auf dem Vormarsch. Nach UNO-Angaben aus Sarajevo haben sie die Kontrolle über die Bergstraße zwischen der serbischen Kaserne Lukavica und der bosnisch-serbischen Hochburg Pale erkämpft, die einen wichtigen militärischen Nachschubweg darstellt. Bereits am Donnerstag erzielten die Regierungstruppen der UNO zufolge Geländegewinne auf dem Lipa-Höhenzug 20 Kilometer nördlich Sarajevos.
Am Donnerstag abend hatte der bosnische Präsident Alija Izetbegović seinen Truppen den Befehl erteilt, „die Strangulierung von Sarajevo“ zu beenden. Er kündigte „präventive Maßnahmen“ an und verteidigte diesen Schritt mit der langanhaltenden Blockade von Sarajevo durch die bosnischen Serben und der Ohnmacht der internationalen Gemeinschaft, diesen Würgegriff zu beenden. Außenminister Muhamed Sacirbey sagte am UNO-Sitz in New York, seine Regierung ergreife die letzte Chance zur Rettung Sarajevos. Die bosnische Hauptstadt ist seit drei Monaten von der internationalen humanitären Hilfe fast völlig abgeschnitten. Der Flughafen und die Landwege sind durch die Serben gesperrt; es gibt kein Wasser, kein Gas und keinen Strom mehr. Brot wurde zuletzt nur noch von einer Bäckerei und nur für die Krankenhäuser gebacken.
Die Straßen von Sarajevo wie auch anderer bosnischer Städte waren gestern leergefegt; die meisten Menschen verbrachten den Tag in Kellern und Schutzräumen. Von den Kämpfen wurde auch die Innenstadt von Sarajevo betroffen, die mit Raketen beschossen wurde. Bei einem serbischen Granatenangriff auf das Koševo-Krankenhaus wurden nach bosnischen Angaben zwei Patienten getötet und zwei weitere verletzt.
Der UN-Sondergesandte Yasushi Akashi verurteilte gestern im UN-Hauptquartier in Zagreb die bosnische Offensive, zeigte jedoch wegen der schwierigen Versorgungslage „ein gewisses Maß an Verständnis“. Die UN-Blauhelme um Sarajevo konnten nur tatenlos zusehen. Sowohl bosnische Serben wie Regierungssoldaten haben sämtliche Depots besetzt, in denen die UN die schweren Waffen gesammelt hatte, und die Geschütze und Panzer auch sofort eingesetzt. Die Serben setzten nach UN-Angaben außerdem auch sechs leichte Panzer der französischen UN-Truppen ein, die sie vor drei Wochen bei der Besetzung von neun Waffendepots erbeutet hatten.
Die bosnischen Regierungstruppen verfolgen offenbar die Strategie, wichtige Nachschubwege der Serben zu erobern, um sie zum Rückzug aus den Bergen um Sarajevo zu zwingen. In UNO-Kreisen hieß es gestern, diese Strategie gehe offenbar auf. Sie zwängen die Serben an zahlreichen Stellen zu Gefechten, was es den Serben unmöglich mache, ihre überlegene Artillerie konzentriert einzusetzen.
Im Namen der sieben führenden Industriestaaten (G 7) rief Kanadas Regierungschef Jean Chrétien in Halifax alle bosnischen Kriegsparteien zu „größter Zurückhaltung“ auf. Er forderte sie auf, die Kämpfe umgehend einzustellen, um Verhandlungen zu ermöglichen. Außenminister Klaus Kinkel (FDP) forderte Rußland auf, sich für eine Lösung der Krise stärker zu engagieren. Er habe außerdem die kroatische Regierung telefonisch aufgefordert, in der Krajina stillzuhalten, sagte Kinkel in Halifax. Offenbar vor dem Hintergrund der eskalierenden Lage um Sarajevo stimmte der UN-Sicherheitsrat am Freitag der Entsendung einer Schnellen Eingreiftruppe nach Bosnien- Herzegowina zu. Bericht Seite 8
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