„Ich bewundere ...“

■ Bremens Theaterintendant Klaus Pierwoß über den Gladiator Basler, über den größten lebenden Mythos Rehhagel und über altraumhafte Werbung

Meister, Vize

Gratulation an die Dortmunder Borussia, sie ist ein verdienter und sympathischer Meister. Bei Werder zündete der Spielfunke gegen die Bayern nicht, die ein schnelles Tor vorlegten und dann die angreifenden Werderaner auskonterten. Die frühen Dortmunder Tore gegen den HSV taten ein übriges.

Wie Borussia in der zweiten Saisonhälfte hatte Werder in den ersten Monaten zahlreiche Spielerausfälle durch Verletzungen. Trainer Rehhagel überraschte aber immer wieder durch neue spielstarke Mannschaftsaufstellungen. Es ist das Verdienst von Werder, daß die Meisterschaft im zweiten Durchgang noch einmal so spannend wurde, nachdem zuvor viele schon mit einem Dortmunder Durchmarsch rechneten. Insgesamt ist die Vizemeisterschaft ein schöner Erfolg für Werder, aber die Mannschaft ist jetzt zum wiederholten Male undankbarer Zweiter.

Spannung

Einen Preispokal verdient hat auf alle Fälle der Spielplangestalter der Bundesliga. Die Ansetzung der Spiele und der Verlauf der Saison haben sich bis zu 2 x 2 Endspielen (in Bremen und Duisburg, in Dortmund und München) hochgesteigert. Wieviel Ahnung oder Ausgedachtes, Unterbewußtes oder Konstruiertes mitgespielt haben, weiß ich nicht; es ist eine geniale Inszenierung dabei herausgekommen, die ausgeklügelte Medienmacher nicht besser hinbekommen hätten. Die Schatzmeister der Bundesliga-Klubs und die Medien sollten den Spielplangestalter für seinen Anteil am neuen Zuschauerrekord auszeichnen.

Mario Basler

Was wäre Rehhagels „kontrollierte Offensive“ ohne den unberechenbaren Kontrapunkt „Super“-Mario? Erst in diesem Wechselverhältnis kam die Spielstrategie des Trainers zu sich selbst. Ob Standardsituationen oder Sturmläufe, während der gesamten Spieldauer konnte Basler zum alleinentscheidenden Joker werden; dieser eminent antrittsschnelle Spieler ist nicht ausrechenbar. Was er sich im Bundesliga-Alltag als Sonderrolle herausnimmt, das zahlt er im Spiel mit seinen Überraschungskünsten zurück. Ob Torschüsse aus „unmöglicher“ Entfernung oder eine direkt von ihm verwandelte Ecke – mit geradezu unverschämter Chuzpe riskiert er das Äußerste. Das nicht spannungsarme Verhältnis zwischen diesem Virtuosen und dem übrigen Spiel-Orchester spricht für das in sich gefestigte Mannschaftsgefüge von Werder Bremen.

Solche Spieler wie Basler werden den Langeweile verbreitenden, weil allzusehr von Kalkulation bestimmten Fußball dankenswerterweise immer wieder aufmischen. Mario Basler ist einer von den Spielern, die in der Mischung von Genialität und Gefährdung, von Aufstiegsmöglichkeiten und Sturzgefahr die Aura von Gladiatoren erahnen lassen. Wie kein anderer Spieler fordert Basler bei den Zuschauern den Jubel über seine Kabinettstückchen und den Ärger über seinen Eigensinn heraus. Wer sein Temperament auf dem Spielfeld bewundert, darf nicht überrascht sein, wenn er außerhalb der Arena auch mal gegen einen Kameramann ausrastet.

Der Wechsel

Otto Rehhagels Wechsel zu Bayern München war die Personalie der abgelaufenen Saison. Was unvorstellbar war, wurde Realität. Lähmendes Entsetzen; auch die Vereinsführung brauchte Zeit, um das Unfaßbare zu begreifen: Bremen verliert den größten lebenden Mythos der Stadt an seinen fußballerischen Erzrivalen.

In der Hochzeit seines Wirkens, bevor er sich in Bremen selbst überlebte und es nach dem Scheitelpunkt möglicherweise wieder abwärts geht, hat sich Trainer Otto Rehhagel nach sage und schreibe 14 Trainerjahren von der Matjesregion in die Weißwurstgefilde begeben. Wie sagt ein Sprichwort so schön vom Essen: „Man soll aufhören, wenn es am schönsten ist.“ Das hat er getan und mit 56 Jahren die Chance genutzt, nochmal ein neues Lebenskapitel aufzuschlagen.

Bei jedem anderen Bundesliga-Verein hätte solch ein Wechsel Krisen und Querelen ausgelöst; nicht jedoch bei Werder Bremen, diesem in mancher Hinsicht etwas anderen Bundesliga-Klub. Die scheinbar endlose Beziehung Werder-Rehhagel wurde als endliche begriffen. Das Verhältnis zwischen Trainer und Vereinsführung war vielleicht nicht mehr innig, aber immer noch von so hochgradig professioneller Kooperation, wie sie sich mancher andere Bundesliga-Klub nur erträumen kann. Und seltsame Dialektik: Das Bewußtsein des Auseinandergehens stärkte den Zusammenhalt in der Mannschaft und mit dem Trainer. Nach dem 2. Platz in der Winterpause wurde aus dem Windschatten heraus angegriffen; es gab einige Gala-Vorstellungen im Weserstadion. Ottos Künste wurden genossen, solange er noch wirksam war. Und im Schatten dieses Steigflugs hat die Vereinsführung den Trainer Aad de Mos verpflichtet, der in Ruhe die neue Saison vorbereiten konnte.

Gegen den Trend

Wo Schnellebigkeit und kurzfristiger Erfolgszwang alltäglich sind, fallen Werders Erfolgsmerkmale aus der Zeit: Kontinuität und Beharrlichkeit. Einen Langzeitrekord stellte die Vereinsspitze auf: Präsident Böhmert und Vizepräsident Fischer bilden seit 25 Jahren das Führungsduo; Willi Lemke managt seit 14 Jahren, und Otto Rehhagel trainiert seit 14 Jahren – in den Zeitrhythmen der Bundesliga sind das geradezu Dimensionen von Ewigkeit. Die Wechsel von Heuern und Feuern bei Trainern kamen an der Weser nicht vor.

Werbung

Im Spannungsfeld des Hitchcock-Finales fast untergegangen ist ein Plan, der wahre Alpträume auslöst, von dem aber zu befürchten ist, daß er Wirklichkeit wird – frei nach Friedrich Dürrenmatt, daß eine Geschichte erst dann ihren Höhepunkt erreicht, wenn sie ihre schlimmstmögliche Wendung angenommen hat. Alptraumhaft ist für mich der Vorschlag, die Fußball-Spielzeit künftig zu vierteln, um mehr Zeit für Werbeblöcke im Fernsehen zu gewinnen. Geradezu unfaßlich ist es für mich, daß ein sonst so besonnener Meister-Trainer wie Ottmar Hitzfeld dieser Fußballzerstörung durch Werbung auch noch Positives abgewinnt. Die Werbeblöcke bei „ran“ haben schon unerträgliche Ausmaße angenommen. Und was ist uns alles entgangen, als beim Maske-Rocchiani–Figth die Ringpausen-Ereignisse in beiden Ecken durch Werbeeinblendungen ausgeschaltet wurden? Die Kämpfer zwischen den Schlagwechseln und die Trainer bei der Arbeit zu sehen, hätte die Spannung noch einmal gesteigert!

Noch haben die Medien eine multiplikatorische Wirkung für das Fußball-Erlebnis, wenngleich sie die Spiele immer mehr auf die spektakulären Punkte oder Randerscheinungen reduzieren; weitere Steigerungsquoten in der Werbung könnten aber eine zerstörerische Wirkung für das Spiel selber und die Zuschauer-Reaktionen in den Stadien haben.

Erfolg und Geheimnis

Über die Gründe für Otto Rehhagels erfolgreiche Trainer-Tätigkeit wird viel spekuliert. Nach dem Goethe-Wort, daß Genie überwiegend aus Fleiß resultiert, meine ich, daß harte und systematische Arbeit, menschliche Achtung im Umgang mit den Spielern (wo er mehr Autorität hat und weniger autorär ist!) und seine bewunderswert instinktsichere Entscheidung für Neu- und Zu-Engagements wenig geheimnisvolle Erklärungspunkte für seine erfolgreiche Arbeit sind; er läßt Spieler auch dann nicht gleich fallen, wenn sie mal Tiefe durchlaufen.

Spielerverpflichtungen zu Rehhagels Bremer Zeiten waren ebenso ausgefallen wie verblüffend. Älteren Spielern wie Burgsmüller oder Allofs hat er noch einmal einen „silbernen Frühling“ beschert, und Mirko Votava agiert scheinbar alterslos auf dem Spielfeld. Begabungen, die anderswo nur durchschnittlich eingeschätzt wurden, haben es in Bremen zur italienexportreifen Blüte gebracht: Völler und Riedle. Ramzy, Basler und Herzog haben bei ihm einen neuen Entwicklungssprung gemacht. Und Rehhagel hat auch die Spürnase für die richtige Mischung von Spielern und Arbeitern auf dem Spielfeld gehabt.

Glanz und Elend, Aufstieg und Fall liegen im Fußball eng beieinander – dieses nie verdrängte Bewußtsein speist Rehhagels Standfestigkeit. Und auch in der abgelaufenen Saison hat es herbe Abstürze gegeben: das Aus im Pokal gegen die Amateuermannschaft der Bayern, die Heim-Niederlage im Europa-Pokal gegen Feyenoord Rotterdam, dessen wieselflinke Stürmer die Werder-Abwehr auseinandernahmen. Daß Rehhagel sich immer weigerte, nach Mißerfolgen öffentlich über Tatik zu debattieren, dafür kann ich als Intendant vollstes Verständnis entwickeln.

Der Mensch Otto Rehhagel

Wie es ja überhaupt zwischen dem Trainer- und Intendanten-Beruf zahlreiche vergleichbare Lebens- und Berufs-Erfahrungen gibt. Der Austausch darüber mit ihm wird mir künftig fehlen. Im Umgang miteinander ist mir Rehhagel zutiefst sympathisch gewesen: Ich habe ihn immer als unprätentiös erlebt, er ist ein Großer ohne Getue und Gehabe. Das haben Erfolgseuphorie und Medienzirkus ihm bisher noch nicht nehmen können. Souveräne Gelassenheit zeichnet ihn aus. Als er er beim Spiel in Köln die Fassung zu verlieren drohte, hat ihn Mirko Votava schützend in seine Fänge genommen – für mich eine der menschlich anrührendsten Szenen in der vergangenen Spielzeit.

Aufgeputschtheit und Cooleness

Durch die Berichterstattung der Medien werden auch langweilige Spiele noch zu Ereignissen, die Berichterstattung putscht auf. Klar ist, daß Spieler-Reaktionen und Zuschauer-Verhalten davon nicht unbeeinflußt bleiben. So jäh manchmal Spieler-Reaktionen unmittelbar nach den Fouls durch andere Spieler oder nach vermeintlich falschen Schiedsrichter-Entscheidungen sind, ich bewundere, mit welcher Sachlichkeit die meisten Akteure unmittelbar nach dem Spiel zu objektiver Beschreibung und Analyse fähig sind. Die Äußerungen von Neubarth, Eilts und Borowka nach dem Bayern-Spiel haben mir in ihrer Gelassenheit sehr gefallen. Gleichzeitig tröstete Dietmar Beiersdorfer den von Weinkrämpfen geschüttelten Hany Ramzy – ein eindrückliches Bild für die emotionalen Anspannungen, denen die Spieler im Verlauf eines Matches ausgesetzt sind.

Abgezocktheit und Fairness

Daß Andi Möllers folgenreiche Schwalbe gegen den KSC immer noch eher das übliche Spielerverhalten ist als Stefan Bögers Bekenntnis (im Spiel Duisburg gegen Dortmund), nicht gefoult worden zu sein, macht das Verhältnis zwischen Tricksereien und fairer Spielweise deutlich. Den Bögers in der Liga sollte der Rücken gestärkt werden. Neben der Meisterschale und Torschußkanone sollte der Fair-Play-Pokal erheblich aufgewertet werden. Es ist notwendig, damit das Spielerische die Überhand behält, auch in der kommenden Saison, in der ersten ohne Otto Rehhagel in Bremen.

Meine persönlichen Highlights

Das Spiel gegen Borussia Dortmund und die Tore von Mario Basler.

Klaus Pierwoß, Generalintendant der BREMER THEATER