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Palästinenser hungern für ihre Freiheit

Über 700 Häftlinge in Nablus sind im Hungerstreik / Aus Solidarität fastet auch Jassir Arafat  ■ Aus Tel Aviv Amos Wollin

Die Insassen des Gefängnisses J'neid bei Nablus in der israelisch besetzten Westbank haben am Wochenende einen unbefristeten Hungerstreik begonnen. Die über 700 palästinensischen Gefangenen wollen dadurch ihre bedingungslose und sofortige Freilassung erreichen. In einer gestern veröffentlichten Erklärung der Streikenden heißt es, sie würden eher verhungern als eine Fortsetzung der Haft zu erdulden. Für die nächsten Tage wird mit einer Ausweitung des Hungerstreiks auf andere Gefängnisse in den besetzten Gebieten gerechnet.

In der letzten Woche hatten Gesandte der palästinensischen Selbstverwaltungsbehörden im Gaza-Streifen und in Jericho vergeblich versucht, die Gefangenen von dem Streik abzuhalten. Vertreter Jassir Arafats, die alle Gefängnisse besuchten, baten die insgesamt 6.000 palästinensischen Gefangenen, den Streik abzublasen und in die Bemühungen der Selbstverwaltungsbehörde um ihre Freilassung zu vertrauen.

Israelische Medien berichteten gestern, nachdem sein Appell gescheitert sei, habe Arafat beschlossen, sich selbst an dem Hungerstreik zu beteiligen. Arafat erklärte gestern nur, daß auch er die Freilassung aller Palästinenser sowie aller von Israel gefangengehaltenen Bürger verschiedener arabischer Staaten fordere.

Der Hungerstreik soll sich im Laufe der nächsten Tage auf die übrigen 5.000 politischen Gefangenen ausdehnen, die sich immer noch in israelischer Haft befinden. Durch den Streik soll nicht nur Druck auf Israel ausgeübt werden, sondern auch auf die palästinensische Führung im Gaza-Streifen. Nach Ansicht der Streikenden hat sich diese als unfähig erwiesen, bei den Verhandlungen mit Israel die Interessen der Gefangenen durchzusetzen.

Ein Drittel aller palästinensischen Gefangenen in israelischer Haft soll der von Arafat geführten größten PLO-Fraktion Fatah angehören. Die anderen zwei Drittel unterstützen angeblich die verschiedenen palästinensischen Oppositionsgruppen.

Die palästinensische Selbstverwaltungsbehörde fürchtet, daß der Hungerstreik zusätzliche Unruhe bei der palästinensischen Bevölkerung auslösen wird. Solidaritätsdemonstrationen, die als Kritik an Arafats Führung verstanden werden müssen, sind besonders unerwünscht, weil der 1. Juli immer näher rückt. An dem Tag soll eigentlich ein Papier über die Verwirklichung der zweiten Phase des Osloer Grundsatzabkommens aus dem Jahr 1993 unterzeichnet werden. Das Abkommen über eine Ausdehnung der palästinensischen Selbstverwaltung auf weitere Teile der Westbank, den Abzug der israelischen Truppen aus den palästinensischen Städten dort und die Durchführung freier Wahlen unter den PalästinenserInnen ist aber noch umstritten. Israelische Politiker stellen das Datum 1. Juli offen in Frage.

Alle palästinensischen Organisationen im Gaza-Streifen und in der Westbank haben am Wochenende beschlossen, einen gemeinsamen Koordinationsausschuß zur Unterstützung der Gefangenen zu bilden. In Ost-Jerusalem fand gestern eine Pressekonferenz der verschiedenen palästinensischen Menschenrechtsorganisationen statt. Einhellig forderten sie die sofortige und bedingungslose Freilassung aller palästinensischen und anderen arabischen Gefangenen aus israelischer Haft. An die israelische Regierung gerichtet, fragten Vertreter dieser Organisationen, wie die Gefangenschaft Tausender Palästinenser mit einem glaubhaften Nahost-Friedensprozeß zu vereinbaren sei.

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