: Die dritte Säule
■ Initiativen für Freie Radios aus der ganzen Republik trafen sich in Kassel: Sie fordern Frequenzen und Geld
„Die Bundesrepublik stellt im europäischen Vergleich das Schlußlicht dar, wenn es um den nicht-kommerziellen Lokalrundfunk geht.“ Ute Sonnenberg vom Europäischen Journalistenbüro brachte am Freitag auf dem Kongreß des „Bundesverbandes Freier Radios“ in Kassel den Unmut auf den Punkt, der sich bei den rund 100 versammelten RadiomacherInnen aus der gesamten Republik angesammelt hatte.
Die PolitikerInnen auf dem Podium waren offenbar beeindruckt und signalisierten Unterstützung. Für Gerald Weiß etwa, stellvertretender Vorsitzender der CDU- Landtagsfraktion in Hessen, stellt der nicht-kommerzielle Rundfunk „angesichts der programmlichen Verblödung“ eine „notwendige Bereicherung der gegenwärtigen Medienlandschaft“ dar. Da wollte auch Lisa Volmer, Landtagsabgeordnete der SPD nicht zurückstehen: Von außerordentlicher kultureller und medienpolitischer Bedeutung seien die Freien Radios und Offenen Kanäle. Und Volker Schäfer (Bündnisgrüne) forderte, die nötigen Lokalfrequenzen zur Verfügung zu stellen.
Da hätten die RadiomacherInnen von Radio Dreyecksland in Freiburg bis Radio Dresden, von Radio Kanalratte Schopfheim bis Radio T in Chemnitz eigentlich zufrieden sein können. Doch rasch war Wasser in den Wein gegossen: No money – no honey! In den Sparhaushalten der Bundesländer ist selten Geld für den Aufbau Freier Radios. Selbst im rot-grün regierten Hessen ist die Finanzierung schwierig, gab Lisa Volmer (SPD) zu.
Auch für die Grünen ist die Finanzierbarkeit der „wünschenswerten Medienprojekte“ offenbar das entscheidende Problem. Dabei haben SPD und Grüne in Hessen erst Anfang 1995 das Privatrundfunkgesetz so novelliert, daß Freie Radios eine dritte Säule im Rundfunksystem bilden sollen – neben dem öffentlich-rechtlichen und dem privaten Hörfunk.
Von den versammelten RadiomacherInnen wurde den ParteienvertreterInnen dann mangelnder politischer Wille vorgeworfen. Gelobt wurden lediglich die Bundesländer Baden-Württemberg, Bremen, Rheinland-Pfalz, Schleswig- Holstein und das Saarland. Dort seien freie Lokalsender, wie etwa Radio Dreyecksland in Baden- Württemberg, längst fester Bestandteil der Medienlandschaften. „Wer Freie Radios will, muß auch die finanzielle Basis dafür sichern“, kommentierte der Sprecher ihres Bundesverbandes, Joseph Dreier, die freundlichen Worte der PolitikerInnen. Auch das Argument der „Frequenzknappheit“ sei nur vorgeschoben – das zeige schließlich der Fall Kassel.
Für ein sogenanntes „Pilotprojekt“ während des Kongresses hatte die hessische Landesanstalt für privaten Rundfunk nämlich vor Kongreßbeginn eine UKW-Frequenz (94,3 Mhz) gefunden. Drei Tage lang durfte das Kongreßradio Freies Radio Kassel senden. Gerade angesichts dieser gelungenen Demonstration, so Joseph Dreier, erwartet der Bundeskongreß, daß nun auch woanders, in Zusammenarbeit mit den Initiativen, Frequenzen aufgefunden und ausgeschrieben werden. Allein in Hessen stünden sechs Radioinitiativen bereit, nach Abschluß der Frequenzkoordination den Sendebetrieb aufzunehmen.
Weil sich in Nordrhein-Westfalen gerade SPD und Bündnisgrüne in Koalitionsverhandlungen befinden, hat der Kongreß am Sonntag eine Resolution an deren Adresse verabschiedet. Darin werden die Verhandlungspartner in Düsseldorf aufgefordert, eine Änderung des Rundfunkgesetzes in die Koalitionsvereinbarungen hineinzuschreiben. Ziel müsse es sein, die Frequenzvergabe für Freie Radios im Sinne eines nicht-kommerziellen Lokalfunks zu sichern.
Eine zweite Resolution ging an die Adresse aller MinisterpräsidentInnen, die Ende der Woche über einen neuen Rundfunkstaatsvertrag verhandeln werden. Mit Verweis auf Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention, in dem die „Freiheit zum Empfang und zur Mitteilung von Nachrichten oder Ideen“ festgeschrieben ist, forderte der Bundeskongreß eine Anpassung des Rundfunkstaatsvertrages an europaweite Regelungen. Ein verbindlicher Rechtsanspruch auf Zulassung und Förderung von nicht- kommerziellem lokalem Hörfunk müsse gesetzlich verankert werden – vor allem aber auch die Übernahme der Sendekosten durch die Landesmedienanstalten. Schließlich erhalten diese zwei Prozent aller Rundfunkgebühren. Das sollte auch für die Förderung von nicht- kommerziellem Lokalfunk reichen.
Für die Anschaffung von Studioeinrichtungen wünschen sich die freien RadiomacherInnen eine Anschubfinanzierung. Darauf warten immerhin rund 30 freie Radioinitiativen, die alle bis Ende nächsten Jahres auf Sendung gehen wollen. Klaus-Peter Klingelschmitt
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