Fremdes im Eigenen

■ Der Foucault-Biograf Didier Eribon hält heute in der Staats- und Universitätsbibliothek einen Vortrag

Michel Foucault?! Wenn sich irgend jemand an diesen Namen und darüber hinaus auch noch an das eine oder andere mehr erinnert, dann könnte dies, außer an einem glücklichen Zufall, nützlicher Fachidiotie oder einem tatsächlich immer noch lebendigen Interesse, auch an der ersten und bislang einzigen umfassenden und durchaus brauchbaren Biografie des französischen Philosophen liegen (auf deutsch ist sie 1991 bei Suhrkamp erschienen). Ihr Autor, der französische Journalist (Le Nouvel Observateur, Libération) Didier Eribon, ist hier nicht der Versuchung erlegen, allzu leichtfertig und sensationslüstern die bestimmt nicht geradlinige und bestimmt auch nicht – wen es halt interessiert – skandalarme Vita Foucaults zu enthüllen. Vielmehr orientiert sich Eribon, ganz im Sinne einer intellektuellen Biografie, an den großen Themen Foucaults – Krankheit, Wahnsinn, Wahrheit, Macht, Krieg, Politik und Sexualität – und rekonstruiert die ihn prägenden Einflüsse: Hegel, Marx, Freud, Heidegger, aber auch Nietzsche. Insofern könnte ein Besuch des Vortrags, den Eribon heute um 19 Uhr im Vortragssaal der Staatsbibliothek hält, durchaus lohnend sein (Eintritt frei).

Zumal Eribon die vielfältigen Beziehungen Foucaults zu den in Deutschland mehr oder weniger unbekannten Zeitgenossen sichtbar macht, etwa zu Georges Dumézil, Georges Canguilhem, Paul Veyne, Gilles Deleuze – selbst Jean-Paul Satre und Louis Althusser finden Erwähnung. Schließlich vermeidet Eribon auch jedwede kurzschlüssige Einheit von scheinbar so konkretem Leben und abstraktem Werk, so als ließe sich das eine aus dem anderen herleiten.

Eribon entwirft ein vielgestaltiges Panorama – mit Foucaults Worten: ein Dispositiv –, in dem einer der bedeutendsten französischen Philosophen nach dem Kriege erscheinen kann. Dieses biografische Verfahren trägt nicht zuletzt einer leitenden Einsicht Foucaults Rechnung, daß nämlich die scheinbar so selbstverständlichen Instanzen wie Leben, Autor, Epoche und Werk keineswegs unproblematische Eingriffe in das Diskursgeschehen darstellen.

Sie erweisen sich vielmehr als diskurspolizeiliche Maßnahmen, als hermeneutische Trickserei, die sie zwar als authentische Einheiten ausgibt, die in ihrer Evidenz keiner weiteren Erläuterung bedürfen; tatsächlich gehen sie jedoch auf ein jeweils auch historisch spezifisches Reglement zurück, das die kritische Diskursanalyse Foucaults zuallererst aufgewiesen hat. Dieses „positiv Unbewußte“ vor aller eilfertig behaupteten Unschuld des Sinns oder Verstehens mag eines der zentralen Motive Foucaults gewesen sein: Es geht hier um die Artikulation der vielleicht auch nur vagen Ahnung des Fremden im Eigenen.

Didier Eribons Vortrag versucht, die Frage nach dem Verhältnis von Leben und Werk anders zu eröffnen. Daß es sich hierbei um kein Bestattungsritual oder sonstwelche abschließende Sinnstiftung handeln wird, sollte klar sein.

Christian Schlüter