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Bündnisgrüner Streit um Länderehe

■ Während die Fraktion der Berliner Bündnisgrünen am kommenden Donnerstag dem Fusionsvertrag zustimmen will, ist der Brandenburger Landesverband bislang strikt dagegen / Kein Kampagnenkrieg

In der Woche nachdem sich die Delegationen der Landesregierungen von Berlin und Brandenburg grundsätzlich auf einen Fusionsvertrag geeinigt hatten, erlebte Eberhard Diepgen einen wundersamen Nachmittag. Nicht die eigene Partei, sondern ausgerechnet die bündnisgrüne Fraktion lobte den Regierenden Bürgermeister in der Plenardebatte am 7. April ausgiebig für seine Hartnäckigkeit, mit der er das Ziel einer Länderehe in den fast dreijährigen Verhandlungen forciert hatte. Als ein „Meisterstück des Kompromisses“ stufte gar der bündnisgrüne Fraktionschef Wolfgang Wieland das Vertragswerk ein.

Nur eine S-Bahn-Stunde entfernt, in der Landeszentrale der Schwesterpartei in Potsdam, mußten die lobenden Worte für Diepgen wie eine nachträgliche Ohrfeige geklungen haben. Erst am Wochenende zuvor hatten sich die Brandenburger Bündnisgrünen auf einer Landesdelegiertenkonferenz (LDK) in Strausberg mit großer Mehrheit gegen eine Fusion „zum gegenwärtigen Zeitpunkt“ ausgesprochen. Damit war offiziell vollzogen, was sich lange Zeit hinter den Kulissen angebahnt hatte: der Riß in der Fusionsfrage zwischen den benachbarten Landesverbänden.

Die Kehrtwende des Brandenburger Landesverbandes entbehrte nicht der Ironie. Sie vollzog sich nur 24 Stunden bevor Brandenburgs Manfred Stolpe (SPD) und Berlins Diepgen (CDU) auf dem Jagdschloß Glienicke in einer Nachtsitzung die letzten Zweifler in ihren Delegationen – allen voran die beiden Vetreter der Berliner CDU-Fraktion – vom Vorhaben überzeugt hatten. Allem voran die Angst vor dem mächtigen Land Berlin mit seinen rund 3,5 Millionen Einwohnern (gegenüber 2,5 Millionen Brandenburgern) trieb die Potsdamer Bündnisgrünen dorthin, wo sich die PDS von Anbeginn fand: in Opposition zum gemeinsamen Land.

Horrorszenario Finanzen und Berliner Schuldenlast

Kritisiert wird die Übermacht der Berliner Parlamentarier in einem künftigen gemeinsamen Landesparlament. Diese werden in der Tat rund 60 Prozent der Sitze einnehmen. Bei den finanziellen Auswirkungen malten die grünen Gegner ein Horrorszenario an die Wand: Zum vorgesehenen Fusionszeitpunkt 1999 werde die Schuldenlast Berlins auf 60 Milliarden Mark angestiegen sein.

Zu guter Letzt sehen die Brandenburger Grünen ihre im Vergleich zu Berlin fortschrittlichere Verfassung in Gefahr. Befürchtet wird der Wegfall der Auskunfts- und Akteneinsichtsrechte der Abgeordneten und der Unterrichtungspflicht der Landesregierung. Vor allem aber drohten, so die Meinung der LDK, höhere Quoren bei Volksbegehren und -initiativen.

Bei den Berliner Bündnisgrünen herrscht derweil Ratlosigkeit. Hartwig Berger, umweltpolitischer Sprecher der Partei im Abgeordnetenhaus und Fusionsexperte, hat die Stimmung auf mehreren Touren ins Nachbarland erkundet. „Es hat sich dort eine gewisse Skepsis gehalten, die aus Verärgerung über die Rolle der alten Hauptstadt der DDR herrührt.“ Den Vorschlag, statt der Fusion mit einer Reihe kleinteiliger Staatsverträge die Beziehungen beider Länder zu regeln, lehnt Berger ab.

Kröten schlucken müssen beide grünen Parteien

Die Sorge um die Verfassung kann Berger nachvollziehen. Ihre Instrumentalisierung gegen die Fusion hingegen nicht. Denn schließlich sei durchgesetzt worden, daß die Bevölkerung beider Länder über die neue Verfassung abstimmen werde. „Um die gute gegenwärtige Brandenburger Verfassung sollten wir kämpfen, aber nicht die dafür bestehenden Landesgrenzen verteidigen“, greift Berger seine Brandenburger Parteifreunde an.

Auch wenn die Bündnisgrünen in einer Reihe von Punkten einige Kröten schlucken mußten – so beispielsweise die vertragliche Festlegung auf die weitere Nutzung der Niederlausitzer Braunkohle – scheint der Kompromiß für die Mehrheit der Partei tragbar. In Kreisen der Fraktion wird nicht ohne Stolz auf die Übernahme mehrerer bündnisgrüner Vorschläge zur Landesentwicklung durch Stolpe und Diepgen verwiesen. Entgegen ursprünglichen Planungen würden nun Gebiete am Rande des Landes stärker entwickelt, könne so dem Auswuchern der Stadt Berlin und der Konzentration auf einen Speckgürtel rund um den Ballungsraum begegnet werden.

In den Diskussionen zwischen den Landesverbänden spielte von Anbeginn die Überlegung eine Rolle, wie Berlins Dominanz zu begrenzen sei. Bemängelt wird von Brandenburger Seite, daß im Staatsvertrag eine „wirksame Interessenvertretung“ für die ländlichen Gebiete fehle. Hinter dieser Klausel versteckt sich die lang angestrebte Idee einer zweiten kommunalen Kammer. Sie sollte den Landkreisen und kreisfreien Städten eine Stimme gegen den städtischen Moloch Berlin verleihen. Für diese Art Miniaturausgabe eines Bundesrates hatte der Landessprecher von Bündnis 90/ Die Grünen und ehemalige Brandenburger Bildungsminister, Roland Resch, noch im November letzten Jahres bei seinen Berliner Freunden geworben. Erfolglos. „Parlamentarische Prozesse“, so glaubt der Berliner Berger heute, würden durch eine solche Kammer „deutlich kompliziert.“

Auch bei der Schuldenregelung halten die Berliner Grünen mittlerweile die Ängste der Brandenburger für weitgehend überholt. Nicht bestritten wird das Finanzdefizit, das Berlin vor sich herschiebt. Falsch sei hingegen, argumentiert Berger, die Behauptung, die Defizite würden auf das gemeinsame Land abgewälzt. Die Schulden des Landes Berlin werden nämlich laut Staatsvertrag durch das gemeinsame Land zum Fusionsdatum nur in jener Höhe pro Einwohner übernommen, die jener entspricht, die das Land Brandenburg bis dahin an Verbindlichkeiten aufgenommen hat.

Wie weit das Mißtrauen gegen Berlin reicht – nicht nur bei den Bündnisgrünen –, beweist auch die Debatte um die Obergrenze bei den Beschäftigten des zukünftigen Landes. In einer Soll-Bestimmung legte der Staatsvertrag schließlich eine Zahl von bis zu 159.000 Landesstellen fest. Der Zusatz, niemandem solle wegen der Fusion gekündigt werden, stößt auf Skepsis. Immerhin arbeiten allein in Berlin 200.000 Menschen in Landes- und Bezirksverwaltungen, in Brandenburg noch mal 70.000.

Skepsis bei der Zahl der Beschäftigten

Wenn am 22. Juni den Abgeordneten beider Länder der Staatsvertrag zur Abstimmung vorgelegt wird, sind die Bündnisgrünen in Brandenburg immerhin eine Sorge los – im Gegensatz zu ihren Berliner Partnern sind sie seit der letzten Wahl nicht mehr im Landesparlament. Die letzte Entscheidung wird letzlich die Bevölkerung in Berlin und Brandenburg im Mai nächsten Jahres in einer Volksabstimmung fällen. Mindestens 25 Prozent der Wahlberechtigten in jedem Land müssen dem Staatsvertrag ihr Plazet geben, zusammengenommen knapp 1,1 Millionen Bürger. Eine hohe Hürde, wenn die schwache Wahlbeteiligung – inbesondere in Brandenburg – zugrunde gelegt wird. Zudem strahlt das Thema den unattraktiven, leblosen bürokratischen Mief aus. „Das Interesse, ob innerhalb oder außerhalb der Partei“, so Berger, „war bisher sehr, sehr gering.“

Mit Sorge wird bei den Berliner Bündnisgrünen die weitere Diskussion in Potsdam beobachtet. 1996 könnte eintreffen, wovor vielen innerhalb der Partei graust: Ein Kampagnenkrieg. Noch gilt zumindestens die Empfehlung für die Brandenburger Bevölkerung, die am 1. April auf der Landesdelegiertenkonferenz in Strausberg formuliert wurde: mit Nein zu stimmen. Brandenburgs Landessprecher Resch will den Vorgang nicht zu hoch hängen. Nach dem 22. Juni wolle man sich mit den Berliner Fusionsbefürwortern zusammensetzen: „Dann werden wir weitersehen.“ Severin Weiland

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