: Wasserautobahnen für Spree-Athen
Gigantomanischer Ausbau der Berliner Wasserstraßen geplant / Schleusen sollen für Riesenschiffe umgebaut und vergrößert werden / Grüne fordern die Nutzung der bisherigen Kanalbreiten ■ Von der Schleuse Christoph Dowe
Nur langsam hebt sich das tonnenschwere Frachtboot Zentimeter um Zentimeter. „Das wird jetzt ganze zwanzig Minuten dauern, bis der Hubvorgang abgeschlossen ist“, erklärt Schleusenmeisterin Böhl von der Charlottenburger Schleuse. „Aber ich muß Sie jetzt bitten, das Gelände zu verlassen – das ist nämlich zu gefährlich“, fügt sie hinzu.
Gefährlich wird es an dieser Stelle in Zukunft in erster Linie für die Natur. Denn: An dieser Stelle soll ein riesiger Schleusenneubau entstehen. Eine Flußbegradigung auf 500 Meter ist geplant. An zwei Stellen soll die Spree durchstochen werden. Eine neue, dritte Schleusenkammer soll errichtet werden, 115 Meter lang und 90 Millionen Mark teuer. Sinn der Übung: Das 150 Kilometer lange Wasserstraßennetz Spree-Athens soll in Zukunft auch für 110 Meter lange „Großmotorgüterschiffe“ und bis zu 185 Meter lange Schubverbände beschiffbar sein.
Die dicken Schiffe sollen über die „Südtrasse“ (Teltowkanal und Spree-Oder-Wasserstraße) bis in den Osthafen schippern können. Über die „Nordtrasse“ (Havel, Spree) gelangen die Superkutter in den Westhafen. Dafür müssen die Schleusen umgebaut werden, die für solche Kähne zu klein sind.
An mindestens zwei weitere Schleusen – in Spandau und Klein- Machnow – wird in den nächsten Jahren Hand angelegt, was den Steuerzahler mindestens 250 Millionen Mark kostet. Die Baumaßnahmen sollen nach den Worten der Wasserbauer „umweltverträglich“ vor sich gehen. Zuständig dafür ist eine Unterabteilung des Verkehrsministeriums, die „Wasser- und Schiffahrtsdirektion Ost“ am Werderschen Markt. Sie hat auch für die Durchführung des von dem durch die „Putzfrauenaffäre“ in Verruf geratenen Bundesverkehrsminister a. D. Krause auf den Weg gebrachten „Projekts 17“ zu sorgen. Die Kosten des Projekts, das den Ausbau der gesamten Wasserstraßen zwischen Hannover und Berlin vorsieht, werden auf insgesamt vier Milliarden Mark geschätzt.
Jürgen Zantz von der Wasser- und Schiffahrtsdirektion stellt die Wirtschaftsentwicklung mit Hilfe der Wasserschiffahrt in den Vordergrund, denn „die ist wichtig“. Man sei nicht an Umweltzerstörung interessiert, das müsse man ihm glauben, und die Natur werde sowenig wie möglich in Mitleidenschaft gezogen. „Ich frage mich, was an dem Ausbau der Schleuse Charlottenburg umweltverträglich sein soll“, empört sich Ulrike Grossmann vom Bund für Umwelt- und Naturschutz (BUND) und listet zahllose Naturgefährdungen beim Schleusenausbau auf. In Charlottenburg sind ausgestorben geglaubte Pflanzen gefunden worden. Der Grundwasserspiegel könnte in der Gegend erheblich ansteigen, die Siebfunktion des Flußbettes könnte durch die Baggerarbeiten beeinträchtigt werden, so daß sich Schwermetalle mit dem Grundwasser vermischen. Am schlimmsten aber scheinen die geplanten Spree-Durchstiche und die Zuschüttung eines der Altarme.
Der Widerstand gegen den Schleusenneubau formiert sich. Das Planfeststellungsverfahren läuft, spätestens bis August sollen die Erörterungstermine über die Bühne gegangen sein. Rund 7.000 Einwendungen haben Bürger bei der Wasser- und Schiffahrtsdirektion gegen das gigantomanische Projekt eingereicht, die meisten davon kommen von Kleingärtnern, die der geplanten Spree-Begradigung weichen müßten. Einige der sechs Firmen, die an der Stelle angesiedelt sind, fürchten Arbeitsplatzverluste durch einen notwendigen Umzug, allen voran der Baustoffhandel Kluwe mit 200 Angestellten. Kluwe ließ ein privates Gutachten erstellen, das die Notwendigkeit der Schleuse bezweifelt, weil nicht genug Verkehr auf den Wasserstraßen zu erwarten ist.
Die Verkehrsprognosen, die die Grundlage für den Ausbau sind, werden auch von Hartmut Kuhfeld von Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) kritisch gesehen. Für ihn ist klar: „Die Verkehrsprognosen sind zu optimistisch.“ Sehr viel billiger als der Ausbau der Wasserwege sei eine Anpassung der Schiffe an die jeweiligen Gegebenheiten der vorhandenen Flüsse. Die derzeitige Auslastung der Flüsse betrage nur 30 Prozent. Andere Gutachten schätzen, daß im Jahr 2010 nur zwei bis drei Schiffe täglich in Berlin ankommen werden, die die großen Schleusen brauchen.
Doch die Schleuse Charlottenburg ist erst der Anfang. Auch in Spandau soll die alte, 67 Meter lange Schleuse, die bereits seit März 1993 wegen Baufälligkeit geschlossen ist, neu gebaut und verlängert werden. Das Planfeststellungsverfahren beginnt diesen Sommer, ab 1997 soll dort eine 115 Meter lange Kammer entstehen. Kosten: ebenfalls um die 90 Millionen Mark.
In Klein-Machnow ist die denkmalgeschützte Schleuse sogar im Stadtwappen wiederzufinden. Werden die Planungen wie vorgesehen weiterverfolgt, entsteht im Teltowkanal eine mehr als doppelt so lange Schleusenkammer wie bisher, 190 Meter sind angedacht. Damit die Superschiffe den Teltow-Kanal dann überhaupt befahren können, müssen alle Brücken unter 4,50 Meter Durchfahrtshöhe angehoben werden: mindestens 20 wären das nach Angaben der Schiffbauer, 40 schätzen Naturschützer.
Aber nicht nur in diesem Projekt wird Geld verpulvert. Dem Landwehrkanal kommt durch die Baustelle am Potsdamer Platz neue Bedeutung für den Gewerbetransport zu. 3.000 Tonnen Bauaushub werden täglich allein von der debis/Daimler-Benz-Baustelle über den Kanal abtransportiert. Die Unterschleuse im Tiergarten wurde dafür bereits letztes Jahr notdürftig repariert. Die Oberschleuse, ebenfalls im Landwehrkanal, soll im nächsten Winter instand gesetzt werden – um die Fahrgastschiffahrt nicht zu behindern. Irgendwann, so einer der Schiffbauer der Schiffahrtsdirektion, ist auch die Schleuse Plötzensee dran, eine 115 Meter lange Schleusenkammer sei angebracht. Und die Schleuse am Mühlendamm in Berlin-Mitte wurde erst letzes Jahr für einige Millionen renoviert.
„Wir finden, daß das alles Quatsch ist, und zwar aus verkehrspolitischen, ökologischen und finanziellen Gründen“, faßt Michael Cramer, verkehrspolitischer Sprecher der Bündnisgrünen im Abgeordnetenhaus, kurz und bündig zusammen. Vom Ausbau der Wasserstraßen sei abzusehen. Und auch Umweltsenator Volker Hassemer ist verhalten kritisch. Er wolle kein „Störenfried für das Projekt 17 sein, aber die Planung muß genauer sein“, gibt er zu bedenken.
Ob der Protest gegen die „Wasserautobahn“ und ihre Schleusen noch Erfolg haben kann, steht in den Sternen. Immerhin läuft am Ende des Jahres das „Verkehrswegebeschleunigungsgesetz“ aus, das Klagen gegen neue Verkehrsprojekte erschwerte. Danach erst ist eine gerichtliche Verzögerung der Bauprojekte wieder möglich – wenn das Gesetz nicht verlängert wird.
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