: „Da haben sie dann wohl ein Problem“
■ Wenn die bürgernahe Verwaltung für einen ausgefüllten Vormittag sorgt
Ein Bürger des Bezirks Schöneberg, nennen wir ihn B., begibt sich eines Morgens in die für ihn zuständige Meldestelle 42 des Berliner Landeseinwohneramtes, da er für einen Rentenantrag die amtliche Bestätigung der Kopie einer Geburtsurkunde benötigt. Die Rentenversicherung hatte mitgeteilt, eine solche amtliche Bestätigung sei ganz leicht bei jeder öffentlichen Behörde zu erhalten. So weit, so gut, denkt Bürger B. und wartet geduldig die anderthalb Stunden, die das Landeseinwohneramt braucht, um ihn mit seinem Gesuch vorzulassen.
Artig trägt er dann sein Anliegen vor, woraufhin ihm knapp mitgeteilt wird, das gehe nicht. Warum, fragt Bürger B. zuerst sich und dann die Amtsperson. Da gebe es eine Richtlinie, so die Antwort. Und nach dieser Richtlinie sei zur Bestätigung der Kopien von Geburtsurkunden ausschließlich ein Beamter desjenigen Standesamtes befugt, von dem die Geburtsurkunde seinerzeit ausgestellt worden sei. Der Hinweis des Bürgers B., die zur amtlichen Bestätigung vorgelegte Geburtsurkunde sei seinerzeit 1943 im damaligen Westpreußen, also im heutigen Polen, ausgestellt worden, wird mit dem amtlichen Vermerk versehen, Bürger B. habe „dann wohl ein Problem“. Auch der Leiter der Meldestelle kann nicht weiterhelfen. Amtliche Beglaubigungen der gewünschten Art, so ergeht der Bescheid in trockenem Behördenton, könnten „nach §36 Verwaltungsverfahrensgesetz grundsätzlich nicht erteilt werden“.
Nun hat Bürger B. selbst einmal Jura studiert und kann sich zufällig an den Inhalt des Paragraphen 36 Verwaltungsverfahrensgesetz erinnern und daran, daß von amtlichen Beglaubigungen dort keine Rede ist. Das sagt er auch. Eine spontane Blässe überzieht daraufhin das Gesicht des Meldestellenleiters, gefolgt von starker Rötung und einem verzweifelten Griff nach hinten in Richtung auf das einschlägige Gesetzbuch, begleitet von nur schwer verständlichem Gemurmel: „War's doch Paragraph 34? oder 28? ...“, jedenfalls, dem Antrag des Bürgers B. könne nicht entsprochen werden. Gesetz sei Gesetz, und Richtlinie sei Richtlinie. Das Standesamt Schöneberg könne aber mit Sicherheit die gewünschte amtliche Bestätigung erteilen.
Dort angekommen, wird Bürger B. mit seinem Anliegen in die zuständige Amtsstube, Zimmer 105, geschickt. Auch hier – keine Zuständigkeit. Aber Zimmer 113 sei zuständig. Ebenfalls: Fehlanzeige. Bürger B. beschließt, die Sache mit Humor zu nehmen und den ihm dargebotenen Behördenkelch bis zur Neige auszukosten. Zimmer 112 – unzuständig, aber in Zimmer 108 könne er, Bürger B., ja mal nachfragen. Zimmer 108 gibt es nicht. Zurück zu Zimmer 105. Dort wird amtlich bekanntgegeben, zuständig sei allein das überörtliche Standesamt I. Das wiederum sei „irgendwo in Charlottenburg“.
Bürger B. tritt den Rückzug an. Vorbei an der Eingangshalle im Rathaus Schöneberg ... da fällt sein Blick auf den Eingang gegenüber der Pförtnerloge. Hier befindet sich die Bürgerberatungsstelle. B. betritt die Beratungsstelle und richtet zum ungezählten Male sein Anliegen wegen der amtlichen Bestätigung der Kopie einer Geburtsurkunde an die dort befindliche Bürgerberaterin, während am gegenüberliegenden Berater- schreibtisch dienstlich telefoniert wird. Kurze Denkpause der Bürgerberaterin, die sich dann an ihren telefonierenden Kollegen wendet: „Sach ma, Jürgn, du bis doch Uakundsbeamta, oda?“ Kurzes Nicken des telefonierenden Beamten. „Hia is son junga Mann, der will ...“
B. reicht das Original der Geburtsurkunde nebst zu bestätigender Kopie an den telefonierenden Beamten, der daraufhin, weiter telefonierend, gekonnt und mit Hilfe dreier Stempel und einer Unterschrift das Unmögliche möglich macht. Strahlend macht sich Bürger B. auf den Heimweg. Im Hinausgehen wird er noch gefragt, warum er sich denn so freue. Seine Erläuterung, er habe inzwischen bei mindestens fünf verschiedenen Stellen vergeblich nach den begehrten drei Behördenstempeln nachgefragt, wird mit den Worten beschieden: „Watt machn S'n ooch so watt? Wärense doch jleich ßu uns jekomm!“ Martin Nanzka
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