Lesbenglück auf Urlaub

■ Oh holde Ferienzeit: Auf der Suche nach der verlorenen Leichtigkeit des Seins

Endlich Urlaub. Drei Wochen voller Glück und Liebe. Das ersehnen Schwule und Lesben sehnlichst, schon weil Glück und Liebe oft im Handtäschchen verschwinden müssen. Also auf in die große Freiheit, fragt sich bloß, wohin?

Langsam drehst du Breitengrade im Kopf, bilanzierst Erfahrungen, fragst im Kreise deiner Lieben. Dabei weißt du, daß das nichts bringt: „Fahr da bloß nicht hin“, und „da mußt du unbedingt hinfahren“ betreffen ein und denselben Ort. Klar ist: Türkei macht man einfach nicht. Schon aus politischen Gründen. Italien geht auch nicht, ist lesbenfeindlich. Die widerlichen Ordnungshüter, die vor ein paar Jahren im Lesbencamp mit der Waffe Ordnung schaffen wollten, wirst du dein Lebtag nicht vergessen. Und so geht es weiter, ein Dutzend Länder fallen wegen politischer Bedenken aus, ein weiteres Dutzend scheitert an der Religion. „Das“, mahnt deine Liebste, „ist doch ein muslimisches Land. Willst du, daß wir uns drei Wochen nicht mal an der Hand halten können?“

Für San Francisco ist die Zeit zu knapp, und in den Lesbenhochburgen Barcelona und Formentera warst du schon ein paarmal. Die Schwulen können wenigstens nach Sylt. Ins Frauenferienhaus? Es dürfte, mit Verlaub, ruhig mal ein wenig exotischer sein, sodaß dich die Fremde wenigstens anhaucht. Tja, wohin also? Du fühlst dich irgendwie verdrängt, ungeliebt, unerwünscht. Stünde nicht der Urlaub an, du würdest dich bereitwilig in die tiefsten Abgründe von Selbstmitleid stürzen. Schließlich überläßt du die Wahl des Urlaubslandes dem Last-Minute-Angebot. Wenn's mies läuft, kannst du immer noch eine der Adressen aus „Frauen reisen anders“ anfahren.

Ganz beschwingt im Hier und Jetzt fahrt ihr zum Flughafen. Kaum angekommen, gehts auch schon los: Ältere Heten schütteln Köpfe, junge Heten tuscheln, Bälger glotzen kuhäugig: „Du, Mama, warum küssen die Frauen sich?“ Mama wird rot und reißt ihr Kind an sich. Neben dir im Flieger schleckt sich ein frisch vermähltes Eheglück die Zähne glänzend. Oben erwähntes Kind fragt nicht, bleibt stumm, registriert nicht einmal. Anders der Herr links vorn, als ihr einen flüchtigen Wangenkuß wagt.

Nach der Landung steigen die Pauschalen in ihre Pauschalbusse. Das Gros der Normalos ist untergebracht. Hoffentlich auf Nimmer Wiedersehen. Der nächste Zug bringt euch aus der Stadt, hinein in einen schnuckeligen Hafen. So schnuckelig, daß ihr euch vor Freude umarmt. Ihr spürt, in eure Rücken bohren sich mehrere Augenpaare. Die dazugehörigen Fischer werden die kommenden Tage und Abende, mediterrane Gelassenheit vorspielend, auf der Lauer liegen. Nun ja, ihr habt ja noch das Zimmer. Es ist schön und hat Balkon und Doppelbett. Letzeres gab man euch mit ungläubigem Augenausdruck: Wie bitte, das Zimmer mit den Einzelbetten ist doch viel größer? Einen Tag später hat sich der ungläubige Gesichtsausdruck in wissendes Grinsen verwandelt. Wahrscheinlich weiß das ganze Dorf Bescheid.

Nach einer Woche ist der Ortswechsel fällig. Ihr habt die Wahl zwischen einer Touri-Hochburg voller Heten, immer bereit, dem Horror der eigenen Normalität mit einem Blick auf „das Andere“ zu entfliehen. Die Alternative: Ein kleiner Ort, der so beschaulich ist, daß die Leute auf alles herabschauen, was nicht dörflich ist. Die Folge eurer Entscheidung für „was Typisches“ rückt euch im Café zu Leibe: Ausschließlich Männer hocken an den Tischen und begreifen eure Platznahme als offene Kriegserklärung und Revierschändung. Mißtrauisch beobachten sie euch. Ihr haltet euch bei den Händen und überhört die gewisperten Verwünschungen.

In der Pension wählt ihr das Doppelbett, obwohl auch daran ein Aber hängt. Die Wände der Behausung sind ebenso dünn wie in der ersten Unterkunft. Darunter leidet die lautere Liebe. Leise, leise, wie weiland in der Jugendherberge muß es sein, oder wir gehen morgen durch ein Spalier der bösen Blicke. So schleiche denn, oh Urlaub, große Freiheit!

Am Ende bist du froh, wieder zu Hause zu sein. Die paar glotzendenHeten übergehst du in der Pose der Gewinnerin, denn hier gibt es Gleichgesinnte. Als kämest du mitten aus der Wüste, suchst du gleich am ersten Abend deiner Rückkehr eine schwul-lesbische Kneipe oder Veranstaltung auf. Endlich mal wieder Lesben sehen! Und so sind wir also doch eine Familie, man muß nur mal wegfahren. Das einzige, was es jetzt zu ertragen gilt, ist die begierig gestellte Frage: „Na, wie war's denn?“ Dora Hartmann