Theater für alle Fische

■ Richtfest im „Theater im Fischereihafen“: Mehr Experimente für Bremerhaven?

Wenn Mauern reden könnten oder gar tote Fische. Anfang des Jahrhunderts noch Fischbahnhof, heute Baustelle und im nächsten Jahr Theater im Fischereihafen Bremerhaven. Die riesige Halle der Fischversandstelle von 1920, in der früher die abgepackten Fische der Nordsee auf Wiedersehen sagten, hat selbst eine Reise hinter sich. Sie wurde abgebaut, „konserviert“ und einen Kilometer weiter wieder aufgebaut. Gestern war Richtfest in der Mehrzweckhalle, wo ab Sommer 1996 Bremerhavens neues Theater spielen will.

Das Theater im Fischereihafen, kurz TIF, will dort sowohl Gastspiele als auch Eigenproduktionen herausbringen und versteht sich als Spielstätte für freie Gruppen. Die Initiatoren der privatwirtschaftlichen Theater GmbH mit 75 Prozent städtischer Beteiligung sind der Theatermann Peter Koettlitz für die künstlerische Leitung und Jürgen Ahlf vom Stadttheater für die kaufmännische Leitung.

Daß ausgerechnet eine Guckkastenbühne in der von Fischräucherein geschwängerten Hafenlandschaft eröffnet wird, hat, wie alles in Bremerhaven, seinen ganz vernünftigen Sinn. Seit mittlerweile drei Jahren zimmert man an dem „Schaufenster Fischereihafen“ herum. Dahinter verbirgt sich der Versuch, den alten Fischereihafen – zwei Kilometer vom Stadtzentrum gelegen – durch Sanierung und Gastronomieansiedlung wieder zum Leben zu erwecken. So hat sich auch im „Schaufenster“ eine Konsummeile angesiedelt. Diese bietet an: „Fisch, Angel, Räucherfisch, maritime Kleidung und diverse Fischrestaurants“, beschreibt Hort Gitz von der Betriebsgesellschaft die Örtlichkeit. Leider fehlen bei diesem Angebot im Bremerhavener Fischereihafen die Touristen. Die soll das neue Theater magnetisch herbei locken. „Wir versprechen uns vom Theater ein Aufwertung des touristischen Zentrum“ sagt Horst Gitz, Prokurist der Fischereihafen Betriebs- und Entwicklungs-Gesellschaft, die Interesse daran hat, daß der Unterhaltungsbetrieb Theater nach der Vorstellung Publikum in die umliegenden Kneipen spült.

Bei diesen Hoffnungen konzentrieren sich die Erwartungen auf Peter Koettlitz. Der künstlerische Leiter des TIF ist für die inhaltliche Konzeption des Theaters im Fischereihaven zuständig. Koettlitz, in der Bremerhavener Theaterszene seit Jahren bekannt, hat bislang am Stadttheater den Bereich Schul- und Jungendtheater aufgebaut. Mit dem eigenen Theater lockt die Verführung zu Höherem. „Ein normales Stadttheater muß einmal quer durch den Gemüsegarten spielen“ weiß Koettlitz nun. Das produziere den „Frust auf Theater.“ Im TIF will er ganz andere Wege gehen. „Newcomer und choreographisches Theater“ stehen auf dem Programm, in dem die Tugenden der freien Theaterszene „unruhig, thematisch aktuell und ausprobierend“ zitiert werden. Auch der Namen Kampnagel wird genannt. Ob diese anspruchsvolle künstlerische Konzeption im Bremerhavener Fischhafen die Massen anlocken wird? „Ich werde riskieren, daß bei manchen Veranstaltungen nur 50 Zuschauer da sind.“ Aber der Anspruch wird nicht tief gehängt, schließlich weiß auch Koettlitz: „Wir müssen gut sein, denn wir haben nur eine Galgenfrist.“

Diese Einsicht in die Realität bezieht sich auf die Finanzierung des neuen Theaters, über die Jürgen Ahlf wacht. Für die ersten drei Jahre ist eine Anschub-Finanzierung der privatwirtschaftlichen Theater GmbH sichergestellt. Bremerhavens Wirtschaftsbehörde unterstützt das Projekt mit 200.000 Mark, 100.000 Mark Sponsorengelder sind zusammengekommen und weitere 50.000 Mark hat die FBEG zugesichert. Immerhin, 350.000 im Jahr, das ist mehr, als mancher Theatermacher an der Startlinie vorzuweisen hatte. Dennoch wird sich der Erfolg des TIF am Zuschauerzuspruch, an den verkauften Karten messen müssen. Denn Bremerhaven, seit Jahren mit dem Stadttheater am unteren finanziellen Limit herumkürzend, wird sich kein zweites Subventionstheter leisten. In Relation zu dem mit 500.000 Mark kalkulierten Jahresetat weiß auch Peter Kottlitz: „Wir müssen 150.000 Mark einspielen“ Ob das nicht etwas zu hoch gegriffen ist? Denn, bringt man die Erfahrungswerte der Branche aus großen Häuser in Anschlag, dann sind bei 80 Prozent Subventionen höchstens 20 Prozent Einspielergebnis aus Kartenverkäufen realistisch. Nach dieser Rechnung könnten Jürgen Ahlf und Peter Koettlitz mit ca 80.000 Mark kalkulieren, haben sich aber schon jetzt doppelt so hoch angesetzt.

Ob ihr Theater die drei Jahre Galgenfrist überlebt, ist für die beiden ehrenamtlichenGeschäftsführer letzten Endes keine existenzielle Frage. Ihren Lebensunterhalt haben sie eh anders abgesichert. Peter Koettlitz wird vom Lehrer Fortbildungs Institut bezahlt und Jürgen Ahlfs versieht seine Posten als Verwaltungsdirektor im Stadttheater Bremerhaven. Susanne Raubold