: Von wegen rosaroter Golf!
Deutsche Unternehmen im Verzug: Schwule sind als Zielgruppe ein Tabu oder, wie es ein richtiger deutscher Werbemann sagt: „Wir machen da keinen Unterschied“ ■ Von Tomas Niederberghaus
Herr Jahn von der Werbeabteilung beim VW-Konzern in Wolfsburg ist gar keine Plaudertasche. „Wir machen da keinen Unterschied“, sagt er und legt den Hörer schwups wieder auf. Die Frage lautete: „Sind Schwule für VW eine Zielgruppe?“ Die Anfrage bei weiteren deutschen Unternehmen verläuft nicht viel anders. Schon die Damen in der Telefonzentrale kommen ins Schleudern, brauchen für die Vermittlung eines geeigneten Ansprechpartners etwas länger als üblich. „Kein Thema“, sagt schließlich eine Mitarbeiterin der Sony-Zentrale in Köln und fügt gleich hinzu: „Ich möchte nicht zitiert werden.“ Nur Hubert Möller vom Exklusivmöbelhersteller Interlübke räumt ein: „Ich habe mir das, ehrlich gesagt, noch nie durch den Kopf gehen lassen, will aber nicht unbedingt nein sagen.“
Deutsche Markenartikler zieren sich. Dabei, so die Umfrage der Koblenzer Werbeagentur Remy & Marcuse, bilden Schwule eine ho- mogene Zielgruppe: „Hohe Bildung, hohes Einkommen, luxuriöses Freizeitverhalten.“ Untersucht wurden die Leser von Männer Aktuell und Magnus. Danach verfügen etwa 31 Prozent der Schwulen über ein monatliches Haushalts- nettoeinkommen von mehr als 6.000 Mark. Rund 61 von 100 Befragten haben einen Hochschulabschluß, mindestens aber Abitur. Der schwule Stuttgarter Betriebswirt und Jungunternehmer Robert K., der dreimal jährlich für mehrere Wochen verreist (mindestens ein Segeltörn, wie er sagt), ein Auto der gehobenen Klasse fährt und die Lebensmittel meistens im Feinkostladen kauft, ist also keine Ausnahme. Er gehört nach den Ergebnissen der Koblenzer Werbeprofis zur „First-class-Zielgruppe“.
Im Wall Street Journal hieß es ähnlich: „Ein Traummarkt.“ Allein diese Aussage hat in den USA einiges in Bewegung gesetzt. Die Amerikaner beackern den Homo- markt seit einigen Jahren ganz systematisch. Ikea beispielsweise zeigt im US-Fernsehen ein schwules Pärchen. Er und er schlendern zufrieden durch ein Möbelmeer, kaufen neue Polster. Eine Touristikjournalistin bringt in wenigen Tagen das erste Reisemagazin für Schwule heraus. Und in den einschlägigen Homogazetten inseriert die Industrie: Apple Computer, Absolut Wodka oder Mastercard. Letztere Fima gibt mit dem Schwulenklub Pride Foundation auch eine Kreditkarte heraus. Rosarot natürlich, mit grauem Schriftzug. In amerikanischen Statistiken hat auch die Lesbe ihren Platz, in der Werbung selbst jedoch entschieden weniger als Schwule.
Werbeprofis nennen die Schwulenszene ein „fraktales Eldorado“. Nirgendwo sonst würden so viele Trends geboren wie dort: Ledermode, Karohemden, Ohrringe, Piercing, Koteletten. Der schwule Mann macht's dem Hetenkerl vor. „Sein Blick“, so Volker Remy von Remy & Marcuse, „wird verschärft von dem Instinkt für sich anbahnende Ereignisse, die er aufgreift und als erster präsentiert“. Außerdem sei er besonders markenbetont. Narzißmus spiele da eine entscheidende Rolle.
Etwa die Kosmetik: Der erste Griff ins Töpfchen war ein schwuler Griff. So sind die Hersteller exklusiver Duftwässerchen Vorreiter für schwules Zielgruppenmarketing. Die braungebrannten Schönlinge mit ihren wohlproportionierten Körpern legen sich in Pose, stürzen ihre Muskeln in die Meeresfluten, lassen manch ein Homo- herz höher schlagen. Kunstvolle Männerakte: Der letzte Versage- katalog wurde zum Rendezvous der Homosinne.
Selbst die Briten brechen Tabus: Ab Juli bringt ein schwules Paar das dunkle Guinness via Werbung an die Tresen. In Deutschland herrscht dagegen weiterhin Prüderie, ja Berührungsangst. Selbst internationale Firmen wie Ikea und Sony trauen sich (noch) nicht auf den hiesiegen Gay- Markt. Bisher machte es ihnen nur der Hamburger Tabakkonzern Reemtsma mit seiner „West“- Werbung vor: Ein Homohochzeitsglück auf großem Plakat. „Mit der Werbung wollten wir Stellung beziehen“, sagt Sascha Berger, „die Erfahrung war durchweg positiv.“ Nur ein paar verhuschte Kirchenvertreter hätten – was nicht sonderlich überrascht – laut „gebrüllt“. „West“ will den Schwulen aber auch weiterhin die Stange halten.
„Deutsche Firmen“, sagt Bernhard de Paz vom schwulen Touristikunternehmen „Holigays“ in Köln, „fürchten um ihren Ruf.“ Beispiel dafür sei das Klever Touristikunternehmen Alltours. Vor zwei Jahren habe er die Firma um eine Zusammenarbeit gebeten, fast empört habe man abgewunken. Als die Presse den Fall ans Licht brachte, habe Alltours Leserbriefe geschrieben. Ungeachtet solcher Animositäten bezweifeln andere grundsätzlich, daß Schwule überhaupt als Zielgruppe zu erreichen sind. Etwa Volker Nickel vom Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft. Er sagt: „Schwule als Trendsetter zu bezeichnen ist völlig falsch.“ Die Koblenzer Studie hält er für eine „geschickte Kampagne, mit der Journalisten an der Nase herumgeführt werden“. Schwule rekrutierten sich aus allen sozialen Schichten, paßten nicht in die betriebswirtschaftliche Produktwerbung und damit nicht in die Aufwands- und Ertragsrechnung.
Derartige Aussagen wiederum, stoßen in Schwulenkreisen übel auf. „Totaler Bödsinn“, sagt Rigobert Strassberger von der Kölner „Arbeitsgemeinschaft schwuler und lesbischer UnternehmerInnen“. Schwule arbeiteten „zum Großteil in gehobenen Positionen“. Sie müßten sich, so Strassberger weiter, die „gesellschaftliche Akzeptanz erkaufen“ und zögen auch im Berufsleben an „den heterosexuellen Mitkonkurrenten vorbei“. Der Kölner ist sich sicher, daß sich die rosa Zielgruppe auch in der deutschen Werbewirtschaft durchsetzen wird. „Wir brauchen da immer etwas länger als die Amis“, sagt er. Zum Beispiel der Herr von VW. Er würde den feinen Unterschied wohl erst bei entsprechendem Familiennachwuchs merken: Wenn in der Wiege putzige Fünflinge liegen, alles Buben, alle schwul.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen