Sanssouci: Nachschlag
■ Volksbühnenspektakel „Fehler des Todes“ im Pratergarten
Wer bis zum Ende blieb, konnte den Intendanten der Volksbühne kotzen sehen. Plangemäß und viel beklatscht natürlich, denn als Finale des Pratergarten-Spektakels wurde „Gescheiterte Vorstellung“ von Daniil Charms gegeben, und da lautet die Regiebemerkung nach jedem Auftritt eben: „Er übergibt sich und läuft davon“. Dramaturg Lilienthal überzeugte ungemein in einer dieser „Redner“-Rollen, Castorf erwarb auch seine Meriten. Zuvor spielte die Bolschewistische Kurkapelle stimmungsvoll Russisches, und der Volksbühnenmitarbeiterstab hatte dank eines Textblattes fehlerfrei mitgesummt („Hoho-ho-hoho- hoho“). Die Stimmung war sozusagen bestens, wenn auch Erfrierungserscheinungen das Publikum am ersten der drei Abende, am Freitag, kurz nach Mitternacht rasch auseinandertrieben.
„Fehler des Todes“: 19 Kurzinszenierungen etwa von Castorf, Andreas Kriegenburg, Anna Langhoff, Christoph Schlingensief oder Michael Simon, in drei Tagen gagenlos einstudiert im Dienste der guten Sache. Schließlich hat Lukas Langhoff für die Dependance der Volksbühne in der Kastanienallee keinen eigenen Etat. Es gab ein russisches Buffet und in allen Winkeln und Nischen des Praters und Pratergartens absurde Texte von Gogol bis Charms (viel Charms) und Sorokin (wenig Sorokin). Natürlich ging es nicht um die Texte, sondern um den Effekt. Die Szenen draußen hatten großen Zulauf, dann konnten nur wenige etwas sehen, die Aufführungen drinnen begannen regelmäßig kurz bevor ich nach dem Lageplan den Spielort fand. Das Theater ist überall, wo wir nicht sind.
Durch ein Fenster sah ich immerhin René Sachse in einer erbärmlichen Kammer Gogols „Wahnsinnigen“ spielen (Regie: Alexander Hawemann), Torsten Ranft stand angeseilt auf einem Nachbardach und brüllte zwei todessüchtige Gedichte von Aleksandr Vvedenskij, während ein Fernseher die Mauer hochkroch (Regie: Penelope Wehrli), Herbert Fritsch spazierte mit einer Dachsmaske herum, und Sophie Rois spielte Clara Zetkin auf der „1. Großen Sozialistischen Butterfahrt“ in Schlingensiefs „Volles Karacho-Rohr“ – ein gelungener Act, bei dem das Publikum quer über das ganze Gelände gescheucht wurde. Per Megaphon wurde man über all das informiert, was zu sehen den vorderen 150 vorbehalten blieb, ein Pony trat auf, ein Lederfascho, ein Clown, und Walfriede Schmitt gab die stolze Mutter auf Karriereabfahrt. Auch Gregor Gysi soll das Seine getan und passenderweise Turgenevs „Arbeiter und Intellektueller“ inszeniert haben, was mir leider entgangen ist. Es gab also Bier, kalte Füße und Theaterhäppchen allüberall; zum Fernsehinterview an der Theke setzte sich Sophie Rois ein Kopftuch auf, Lukas Langhoff dirigierte Holzbankträger, und als Castorfs Inszenierung von Sorokins „Pelmeni“ mit einem langen Blick in ein deprimierendes russisches Wohnzimmer begann, sagte einer der Zuschauer: „Und jetzt geben sie gleich die Spendenkontonummer durch.“ Im Sinn geblieben ist auch ein lämpchenumkränzter weißer Vorhang in einer Toreinfahrt, vor dem sich kurz vor dem Finale immer mehr Leute versammelten, und nichts passierte. Nur die Straßenbahn ratterte im Takt vorbei. Petra Kohse
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen