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Hin zum Regenbogen

Das südafrikanische Team wird Rugby-Weltmeister und trägt zur politischen Versöhnung bei  ■ Aus Durban Kordula Doerfler

Bei „Joe Kools“, einer der schicken Bars am kilometerlangen Strand von Durban, herrscht drangvolle Enge. Hunderte von braungebrannten Beach boys und girls haben ihrer liebsten Beschäftigung, dem Wellenreiten, abgeschworen, um sich vor den in jeder Ecke aufgebauten Fernsehschirmen zu versammeln. Nicht gerade das typische weiße Rugby-Publikum, aber Südafrika kennt an diesem Samstagnachmittag keine Rassen mehr, sondern nur noch Rugby-Fans. In allen Teilen des Landes verfolgen Hunderttausende in Kneipen und eigens aufgebauten Zelten das Endspiel der Weltmeisterschaft.

Wider Erwarten hat es die südafrikanische Nationalmannschaft bis ins Finale geschafft. Jetzt muß sie antreten gegen den großen Favoriten Neuseeland. Das Land am Kap stand in den vergangenen Wochen unter Hochspannung. Zum ersten Mal ist es Veranstalter eines internationalen Großereignisses, zu dem immerhin 20.000 Besucher aus allen Teilen der Welt eingeflogen sind. Nach der jahrzehntelangen Isolation während der Apartheid-Zeit ist das Labsal für die Seelen vor allem der weißen Südafrikaner. Daß es die „Springboks“ ganz nebenbei auch noch geschafft haben, sich an die Weltspitze zu spielen, macht das Glücksgefühl perfekt – und führt zu einer Art von nationaler Versöhnung, die den in der Vergangenheit rein weißen Sport zum symbolischen Ereignis macht.

Dem trägt auch Präsident Nelson Mandela Rechnung, als das Spiel im ausverkauften Ellis-Park- Stadion in Johannesburg eröffnet wird. Nach einer perfekten Show mit viel afrikanischer Folklore betritt der Präsident den Rasen: mit der grünen „Springbok“-Mütze auf dem Kopf, die er schon in den vergangenen Wochen bei politischen Veranstaltungen trug, und einem Trikot. Jedem einzelnen Spieler der Springboks schüttelt er die Hand und wünscht „unseren Jungs“ viel Glück; anschließend auch den „All Blacks“ genannten neuseeländischen Spielern.

Und dann geschieht das Unerwartete. Nur in den ersten Minuten beherrschen die Neuseeländer das Spiel. Offenbar haben sie den Rat ihres Präsidenten befolgt: Mandela gab ihnen mit auf den Weg, sich nicht allzusehr auf Jonah Lomu, den momentan weltbesten Rugbyspieler, zu konzentrieren, sondern die ganze neuseeländische Mannschaft im Auge zu behalten. Die Südafrikaner sind zwar taktisch unterlegen, aber greifen immer munter an und bringen so die „All Blacks“ aus dem Konzept. Nach Abpfiff der regulären Spielzeit steht es 9:9. Der Star des Spiel ist nicht etwa Lomu, sondern der Südafrikaner Joel Stransky, der mit seinen erfolgreichen Tritten durch die gegnerischen Stangen Südafrika schließlich in der Verlängerung zum 15:12-Sieg verhilft.

Das Ellis-Park-Stadion in Johannesburg verwandelt sich in ein Meer aus den neuen südafrikanischen Flaggen, draußen auf den Straßen tanzen und singen die Menschen, Schwarze und Weiße. Autokorsos fahren hupend durch die Straßen. Erneut betritt Mandela den Rasen und überreicht strahlend dem tränenüberströmten Kapitän der Südafrikaner, François Pienaar, den begehrten Pokal. Während seines ersten Interviews bedankt sich Pienaar zutiefst gerührt nicht nur bei den 60.000 Zuschauern im Stadion: „Wir hatten in den vergangenen Wochen 40 Millionen Fans.“

Und damit hat er recht. Ausgerechnet die Rugby-WM hat Südafrika der Vision des Erzbischofs von Kapstadt, Desmond Tutu, der „Regenbogen-Nation“, ein Stück näher gebracht. Die südafrikanische Rugby-Mannschaft, mit einer Ausnahme immer noch blütenweiß glänzend, hat eine bislang unbekannte Popularität in den Townships erlangt. Und jenseits der perfekten Vermarktung durch die Sponsoren wurde ein Wir-Gefühl ohne schalen Beigeschmack erzeugt.

Das „neue Südafrika“ hat zudem unter Beweis gestellt, daß es durchaus in der Lage ist, friedlich eine internationale Sportveranstaltung zu organisieren, wenn die Besucherzahlen und die Logistik auch bei weitem nicht mit denen von Olympischen Spielen oder Fußball-Weltmeisterschaften zu vergleichen sind. Für die Bewerbung Südafrikas auf die Olympiade im Jahr 2004 auf jeden Fall ein Pluspunkt, den auch Mandela mit seiner Versöhnungsstrategie zu nutzen verstand. Bekäme Südafrika tatsächlich den Zuschlag, wäre es das erste Mal, daß Olympische Spiele auf dem afrikanischen Kontinent stattfinden.

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