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Alle Boykott-Macht geht vom Volke aus Von Mathias Bröckers

Einem Hauptmann und Gutsverwalter, der es zu Lough-Mask in der irischen Grafschaft Mayo so arg trieb, daß die irische Landliga 1880 beschloß, daß niemand mehr für ihn arbeiten oder mit ihm handeln und verkehren sollte, verdanken wir den Begriff. Seit den Zeiten von Charles Boycott wird im Wirtschaftsleben mit seinem Namen benannt, wenn ein Unternehmen vom Bannstrahl seiner Kunden getroffen wird. Wie so etwas funktioniert, bekam gerade der Shell-Konzern zu spüren. Nur ein paar Tage machte die Kundschaft einen Bogen um die Shell-Zapfsäulen, schon tut der Öl-Riese brav, was die Greenpeace-Zwerge verlangen. Daß nur die Konkurrenten von Aral oder BP von dieser Maßnahme profitierten, daß dadurch kein Liter Öl weniger verjubelt wurde und sich außer ein bißchen Pseudogewissensberuhigung grundsätzlich wenig ändert – allen berechtigten Einwänden zum Trotz entfaltet die Methode der irischen Bauerngenossen nach wie vor eine einzigartige Kraft. Das Wahlrecht des Volkes, die politische Einflußnahme, ist geradewegs nichts, verglichen mit der Macht des Boykotts. Das einzige Problem ist, daß er so schnell wieder einschläft; gelingt es aber, mit Spektakeln, wie sie Greenpeace inszeniert, Aufmerksamkeit und Interessierte wachzuhalten, könnte sich der Boykott als wirksamste Einflußmöglichkeit des Volkes zu einem Breitensport entwickeln.

Schon liegt ein Boykott französischer Produkte in der Luft, weil Frankreich die Atomwaffenversuche im Pazifik wieder aufnehmen will – ein Greenpeace-Schiff ist unterwegs, um die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit zu fokussieren. Und diesmal wird der französische Geheimdienst sich hüten, seine Terrorkommandos auf die Rainbow Warriors loszulassen – die Position der Greenpeace-Piraten im Pazifik ist mindestens so stark wie in der Nordsee, zumal der gesamte australische Kontinent bereits auf den Barrikaden ist. Wenn sich jetzt auch noch die europäischen Nachbarn einschalten und um Citroän, Cardin und Cognac einen Bogen machen, wird die Chirac-Regierung dies nicht viel länger aushalten als der Shell-Konzern. Wie wenig vollmundige politische Bekenntnisse wert sind, wenn das Heer der Konsumenten erst einmal mobilisiert ist, hat der Fall „Brent Spar“ gerade gezeigt. Nachdem Shell den Giftschwanz einzog, fühlt sich die britische Regierung jetzt vom Konzern „verraten“, was beweist, wie wenig die politische Klasse von der Macht der Konsumenten verstanden hat. Sowohl in England, wo man trotz PR-Waterloo weiter sturheil ins Verderben rennen wollte, als auch in Deutschland, wo sich sämtliche Parteien hemmungslos aufs Greenpeace-Trittbrett schwangen, um ihr Öko-Profil zu liften. So geschickt dieser deutsche Opportunismus auf den ersten Blick scheinen mag, auf den zweiten blamiert er die Politik kaum weniger als das ignorante britische „Rückgrat“. Bevor die Verbraucher zum Boykott rüsteten, gingen den Regierungsverantwortlichen die Schweinereien in der Nordsee am sprichwörtlichen Arsch vorbei. Die Methode der britischen Bauerngenossen degradierte Politik zur Quatschbude – mit Boykott, der schärfsten Waffe der Konsumgesellschaft, geht die Macht tatsächlich wieder vom Volke aus. Es gibt viel zu tun – packen wir's nicht mehr an!

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