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„Du kannst es dir nicht aussuchen“

Not und Tugend: Der türkischsprachige Rap von Cartel sucht sich die Community außerhalb der „deutschen“ Popkultur – „Türken“, „Kurden“, „Lazen“ und „Tscherkessen“ – alles in Anführungsstrichen und unter einem Groove  ■ Von Annette Weber

Persönlichkeitsmatrizen ohne Ende: die deutschen Ausländer, die ausländischen Deutschen, die Nicht-Türken, Nicht-Deutschen, die Kinder der türkischen, kurdischen MigrantInnen. Ein wahres Fest für die Multi-Kulti-Identitätsanalyse. Multiple Persönlichkeiten – chic. Bloß kann man es sich nicht immer aussuchen.

„Cartel sind Wanderer zwischen den Kulturen. Ausländer der zweiten Generation. Nicht deutsch, nicht türkisch. Sie wollen sich abgrenzen, nicht ausgrenzen. Cartel begreifen ihre Identität als deutsche Ausländer auch als Chance.“ So heißt es im Promotext von Cartel, einem Zusammenschluß mehrerer „türkischer“ Rap- Crews: Karakan aus Nürnberg, Da Crime Posse aus Kiel und Erci E., einem Berliner Rapper. Konsequenz dieser „Identität“: Gerappt wird meist auf türkisch – in einer Art Umwandlung von Not in Tugend. „Irgendwann wird klar, daß du es dir nicht aussuchen kannst, daß das die andern für dich tun“, sagt Alper von Karakan.

Eine Sicht der Dinge, in der neben Trotz auch die Vielzahl von (gescheiterten) Versuchen mitschwingt, so etwas wie das Eigene, das Selbst zu definieren – und doch immer nur als das Andere, das Fremde gesehen zu werden. Plötzlich wird gerade das aggressiv bejaht: Man ist „Türke“ und findet es gut, trägt den Halbmond im Bandlogo und verschwört sich in Banden gegen die auf Festlegungen eingeschworenen Definitionsmächte um einen herum.

Cartel übernehmen damit auch einen Teil der Haltungen und Einstellungen, wie der US-HipHop sie hervorgebracht hat. Während die hiesige Beschäftigung mit HipHop von den Fantastischen Vier bis zum Sesamstraßen-Rap von Der Tobi und das Bo einen stark unreflektierten, konsumerischen Aspekt hat, existiert „türkischer“ HipHop außerhalb der „Community“ allerdings fast ausschließlich als Problem/Diskurs. In der Hamburger „Zeitschrift für den Rest“ 17oC wurde eine Radiodiskussion aufgezeichnet, die anläßlich eines Konzertes von Karakan in einem Nürnberger Jugendzentrum stattfand. Im Publikum: Anhänger der türkisch-faschistischen Gruppierung Graue Wölfe. Das hat Karakan den Vorwurf eingetragen, selbst protofaschistisch zu sein, ein Männerverein, der die Härte lobt und den Kampf verherrlicht. Aber sind die Konfliktlinien, denen diese „Identität“ folgt, nicht doch etwas komplizierter?

Der harte Reim – ernst und böse

Berlin-Kreuzberg, SO36, Record- Release-Party der Cartel-CD. Die Bühne ist voll mit jungen Männern, die, alle in Cartel-T-Shirts und Kapuzenpullis gepackt, wichtig, ernst und manchmal böse gucken. Im Publikum macht das keiner/m Angst, die meisten kennen die Rapper da oben. Das Cartel wummert mächtig. Es ist der weite Klang von Transglobal Underground und der harte Reim von Wu-Tang-Clan. Es klingt, als käme die Musik aus zwei Autoradios, im Vorbeifahren ergänzt um türkischen Pop. Das Set wechselt zwischen den einzelnen Akteuren, zwischendurch rappen alle zusammen, am Ende kommt das gemeinsame Stück von Cartel. In Übersetzung etwa: „... wir sind hier, um eure Rechte zu suchen und anzumahnen. Wir sind zusammengekommen, um das Cartel zu gründen. Überlegt euch genau, wie lange soll dieses Leben noch so weitergehen.“

Die Mädchen, die das ganze Konzert sitzend in ihrer Loge verbrachten, nicken überzeugt. Nach der Show kommen die Jungs von der Bühne, um sich mit ihnen, die fantastisch gestylt sind wie türkische Ausgaben von Salt'N Pepa, Patra oder Cora E., fotografieren zu lassen. Rockbusiness trifft auf Gangster-Rap-Posen. Kein Zweifel: türkischsprachiger Rap spricht für türkischsprachige Männer.

Alper, der MC von Karakan, sieht zwar, daß die türkisch-deutschen Mädchen noch viel mehr Schwierigkeiten haben, findet aber, das sei nicht sein Problem. Er konzentriert sich in seinen Texten auf Gewalt, auf Drogen, die Straße, den Anpassungsdruck. Das müsse reichen.

„Yetmedimi – reicht es nicht?“ von Da Crime Posse erzählt die Geschichte der Türken in Deutschland: „Wir sind hierher gekommen, haben geschuftet wie die Tiere, sind getreten, beleidigt und beschmutzt worden. [...] Doch Wut überfällt uns immer mehr, denn immer mehr von uns bekämpfen sich untereinander mit Waffen und mit Preisen.“

Wie in fast allen Stücken der drei Cartel-Einheiten geht es darum, den Zusammenhalt untereinander zu beschwören und den Spaltungstendenzen zwischen Türken und Kurden entgegenzuwirken. Ob Graue Wölfe im Publikum anwesend sind, ist vom Augenschein her nicht auszumachen, aber der Halbmond prangt gut sichtbar auf den Mützen. Kein Wunder, daß das Zusammenleben mit der deutschen Bevölkerung in den Texten meist als gescheitertes Projekt vorkommt.

Rappen auf türkisch: ein junges Phänomen

Für die türkische Community hier ist die Aneignung von Rap, verbunden mit türkischen Einflüssen und türkischer Sprache, ein junges Phänomen. Überhaupt war „Jugendkultur“ in ihrer hiesigen Ausprägung der zweiten Immigrantengeneration ein Fremdwort: Punk, (Neo-)Hippie-Outfits, auch Grunge und Gitarrenmusik – das war was für deutsche Kinder. Bei den Eltern lief türkischer Pop oder klassischer orientalischer Gesang, auch das nicht gerade ein Identifikationsangebot.

Erst mit Grandmaster Flash und Run DMC kam der Rap der alten Schule mit seinem Lebensstil HipHop, Breakdance und Graffiti im Gepäck nach Deutschland. Anfang der Achtziger waren es dann vor allem die Kids, die Türkisch sprachen, die sich auf den Kopf stellten und im Kreis drehten. Während die Faszination von Rap für deutsche Interpreten aber in der Wiederkehr eines Ernsts lag, den Pop längst verloren hatte, und sich nicht wenige schon wieder mitten in die Herzen der Marginalisierten und Unterdrückten hineinträumten, war HipHop für die Kinder türkischer Eltern eher ein befreiendes Wiedererkennen. „Sicherlich kann man die Geschichte der afrikanisch-amerikanischen Leute in den USA nicht mit der Situation der Türken in Deutschland vergleichen. Aber es gibt Strukturen, Ausschlußmechanismen und Kriminalisierungstaktiken, die genau gleich funktionieren“, meint Erci E., ein Rapper aus Berlin, der seit fünf Jahren HipHop macht und Teil von Cartel ist.

Daß diese Entwicklung sich andernorts ähnlich ereignet hat, daß „indische“ EngländerInnen, „algerische“ FranzösInnen Sitar-, Funk- und Rai-Rap für sich wählten, hat seinen Grund: HipHop als Lebensstil hat keine Eingangskontrolle, bei der mittelständische, bürgerliche Konventionen abgeprüft werden. Die Codes waren/sind auch den Kids zugänglich, die durch Anbindung an traditionellere Kultur nicht im Pop-Kontext stehen und leben. Das wiederum hat Gründe, die hier nur zu skizzieren sind: Der Bezug des Grooves, des sprachlichen Flows, der Erzählstruktur und der Inhalte kommen beim HipHop/Rap nicht aus einem westeuropäischen Kontext, sie leiten sich aus der Tradition afrikanischer Spottgesänge ab, dem gegenseitigen Sich-Anmachen und verbal Übertrumpfen. Auf den ersten Blick nicht gerade der Hintergrund, der zum orientalischen Lied, den ausladenderen Texten und dem blumigen türkischen Pop paßt. Und doch ist HipHop für Cartel ein probates Mittel, ihre unmittelbare Umwelt in ihrer ganzen Widersprüchlichkeit und Komplexität, auch in ihren ideologischen Grenzen abzubilden.

Nationalismus auf der Bühne des Rap?

Immerhin eine Möglichkeit für an Pop und am Pop-Diskurs Interessierte, Einblicke in das Leben, die Umstände und Pläne der türkisch- deutschen Bevölkerung zu kriegen – auf der Bühne des Rap sind die Texte ja frei zur Diskussion. Daß allerdings der Nationalismus-Vorwurf die nahezu einzige Schiene der Auseinandersetzung bildet, ist doch etwas traurig.

Zwar gibt es keinerlei Grund, nationalistische Texte und Haltungen zu verharmlosen, aber es gibt so etwas wie eine Verhältnismäßigkeit der Mittel. Die Rezeption setzt zudem nicht nur unterschiedliche Bewertungsmaßstäbe an Rock und Pop, sie stellt auch ihre ganz persönliche Widerspruchs- Hitparade auf. Und nach der stehen die ohnehin Randständigen offenbar schneller auf dem Index als die gängigen Herrschaftssounds von Led Zeppelin bis hin zu U2. Auf dem Feld alltäglicher Sexismen, Rassismen und Ressentiments nimmt man es immer noch nicht so genau. Konzerte von Guns'N Roses, Public Enemy, Ice Cube oder NWA werden nicht boykottiert, da man diese weiterhin im Popkontext bespricht – auch wenn hier die Erkenntnis am nötigsten wäre, „daß die Verhältnisse nicht mit den Verhältnissen erklärt werden können“ (17oC).

Noch einmal und ohne Mißverständnisse: Nationalismus läßt sich nicht in einen „bösen“ deutschen und einen „guten“ türkischen auseinanderdividieren, aber es macht dennoch einen Unterschied, ob ein deutscher Skin deutsche Parolen skandiert oder ein türkisches MigrantInnenkid in Deutschland einen „nationalen“ Zusammenhalt herbeibeschwört.

Karakan selbst antworteten auf die Nationalismus-Kritik mit ihrem Stück „Blutsbrüder“: „Wir haben ,Verpiß dich, Skin‘ gesagt und wurden gefickt, wir bezeichnen uns als Türken und wurden als Faschisten abgestempelt.“ Mythisches Machotum als symbolische Antwort auf hiesige Verhältnisse, gespickt mit Einigkeitsbezeugungen: „Türken, Kurden, Lazen und Tscherkessen, wenn wir unter uns trennen, werden wir verlieren.“

Das ist sie, die volle Widersprüchlichkeit dieser Musik in ihrer Funktion als „Sprachrohr“, Selbstbehauptung, latent nationalistische Verbrüderung, Äußerungsform multipler Persönlichkeiten. Das letzte Wort – von ihr und über sie – ist noch nicht gesprochen. Hoffentlich.

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