: „Setareh soll bleiben“
■ SchülerInnen der Kornstraße demonstrieren: Iranische Mitschülerin soll ausgewiesen werden
„Setareh soll bleiben“, skandierten gestern mittag vor dem Rathaus etwa 200 Kinder und Jugendliche. Die von SchülerInnen der Kornstraße initiierte lautstarke Demo galt der 16jährigen Mitschülerin Setareh Ghofrani, die, so will es die Ausländerbehörde, am 31.8.95 in den Iran zurückkehren soll (vgl. taz 26.6.).
Seit 6 Jahren besucht Setareh das Schulzentrum an der Kornstraße. Sie war 11 Jahre alt, als sie ihrem damals 14jährigen Bruder Soheil nach Deutschland nachreiste. Dieser war, nachdem ihn die iranischen Behörden für die berüchtigten Kinder-Einheiten rekrutiert hatten, die im Krieg gegen den Irak zum Entschärfen von Minen eingesetzt wurden, 1987 nach Deutschland geflüchtet. Wenige Wochen, nachdem Setareh von ihrer Mutter ins Flugzeug gesetzt worden war, kam auch diese mit dem einjährigen Siamak nach. Das Stadtamt Bremen erteilte ihr eine befristete Duldung bis 31.6.91.
Den Antrag auf Verlängerung aber lehnte das Stadtamt ab. Innensenator van Nispen wies auch die Widersprüche zurück. In seinem Bescheid vom 21.1.93 heißt es, die Verhältnisse im Iran hätten sich nach Beendigung des Irak-Krieges stabilisiert. Nach den einschlägigen Erlassen komme seither nur noch für diejenigen Iraner keine Aufenthaltsbeendigung in Betracht, die bis zum 31.12.1988 in das Bundesgebiet eingereist seien (sogenannte „Altfallregelung“). Die Kläger aber seien nach dem Stichtag eingereist.
Falsch, Setareh ist nachweislich vor diesem Termin eingereist. Doch die Altfallregelung gilt nur für Personen, die politische Gründe für ihre Ausreise angaben. Anders als Soheil, der in Deutschland bleiben darf, hat Setareh das nicht explizit getan. Wie auch, sie war damals elf Jahre alt, ein Kind. Die später eingereiste Mutter stellte klar, daß die ganze Familie im Iran permanentem Druck ausgesetzt war. Ihre Duldung wurde folglich mit den politischen Verhältnissen im Iran begründet.
Mutter und Sohn aber sind nach dem Stichtag eingereist, fallen also nicht unter die Altfallregelung. So jedenfalls sieht es die Ausländerbehörde, das Verwaltungericht schloß sich dieser Sichtweise an. Eine durchaus strittige Entscheidung, denn als „Altfälle“ finden auch minderjährige Kinder und Ehegatten Gnade, die bis zum 31.12.1990 nachgereist sind. Ob dies auch für die absteigende Linie gilt, also für die Mutter und den Bruder, ist laut Bundesinnenministerium Entscheidungssache der Behörden vor Ort.
Daher hatten die 200 Jugendlichen, die gestern vor dem Rathaus demonstrierten, einen Gesprächstermin mit Innensenator van Nispen ausgemacht. Doch der hatte kurz vorher das Rathaus verlassen. „Das ist eine Unverschämtheit“, brach es aus einem der 17jährigen Demo-Ordner hervor. „Der entzieht sich damit doch seiner Verantwortung.“
Schließlich sprang Henning Scherf in die Bresche, lächelte, winkte der brodelnden Menge zu, umarmte und küßte die junge Iranerin. Er wolle sich für sie einsetzen, versprach er, doch er könne jetzt, da er „eine Regierung zusammenbringen“ müsse, nicht auch noch die Aufgaben des Innensenators übernehmen.
Die SchülerInnen suchten schließlich Friedrich van Nispen in den Diensträumen an der Contrescarpe auf. Er riet der Anwältin Setarehs, die im August fällige Entscheidung des Oberverwaltungsgerichtes abzuwarten und Asylanträge für die Familienmitglieder zu stellen. „Ich finde den Fall in hohem Maße bedauerlich“, sagte er, der den Fall längst anders hätte entscheiden können. Van Nispen bedauerte, nurmehr kurze Zeit im Amt zu sein. Er versprach, seinem Nachfolger Borttscheller nahezulegen, „zu helfen, wo man helfen kann“. dah
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