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■ NormalzeitKorruption gegen Chaos

Gemeinhin sind alle gegen Bestechung, aber was bei ihrer effektiven Bekämpfung wirklich erreicht wird, darüber macht sich niemand einen Kopf. Neulich wurden zum Beispiel die polnischen Zöllner an nahezu sämtlichen deutsch-polnischen Grenzübergängen ausgewechselt, weil sie sich als allzu käuflich erwiesen hatten. Wie man weiß, bekommen polnische Kunden, wenn sie in Berliner Import-Export-Läden Fernsehgeräte erwerben, von den deutschen Grenzern die Mehrwertsteuer wieder, ihr Problem ist dann nur noch, sie möglichst billig an den polnischen Zöllnern vorbeizuschleusen.

In den letzten zwei Jahren hatte sich das einigermaßen eingespielt, so daß die größeren Abnehmer ihre Rechnungen bei den Berliner Import-Export-Läden immer erst bei der darauffolgenden Lieferung bezahlten. Durch den Zöllner-Austausch geriet nun das ganze System ins Wanken: Einem iranischen Händler und seiner polnischen Topverkäuferin in Charlottenburg blieben zum Beispiel plötzlich die zwei polnischen Hauptkunden aus, die ihnen überdies etliche Tausender schuldeten. Über den Vater der Verkäuferin, der bis 1988 Polizeipräsident von Stettin war, kam der Iraner in Kontakt mit einem Stettiner Inkassobüro, das zugleich auch eine Detektei war. Dieses Büro ermittelte den Wohnort der beiden Schuldner – in der Nähe von Lodz.

Nun setzte sich der Iraner mit einem ebensolchen Büro in Lodz in Verbindung. Von ihnen erfuhr er: Der eine hatte sich gerade einen Mercedes gekauft, und der andere baute sich ein neues Haus, beide hatten ihr TV-Transit-Geschäft erst einmal – grenzbedingt – an den Nagel gehängt. Den Mercedes zu pfänden, würde kein Problem sein, lautete die Auskunft, aus dem Hausbauer das geschuldete Geld rauszuholen, wäre jedoch kompliziert. Der aktionistisch gestimmte Iraner machte sich schließlich mit seiner Verkäuferin als Dolmetscherin selbst auf den Weg nach Lodz. Sie kamen aber gar nicht so weit: Auf halber Strecke wurde ihnen an einer Raststätte das Auto geklaut, mit Papieren, Schlüsseln, Mänteln und allem drum und dran. Vier Tage brauchten die beiden, bis sie mit dem Zug wieder zurück in Berlin waren. Sie mußten sich erst Geld in Stettin leihen, dann nach Warschau fahren – bei der persischen und deutschen Botschaft (die Verkäuferin besaß mittlerweile einen deutschen Paß) Ersatzdokumente beschaffen, gleichzeitig telefonisch ihre Konten in Berlin sperren lassen und, als sie dann wieder zurück waren, sogleich sämtliche Türschlösser auswechseln lassen, außerdem neue Papiere sich dann besorgen.

Inzwischen war der deutsche Freund der polnischen Topverkäuferin schier rasend vor Eifersucht geworden. Sie brauchte Tage, um ihn wenigstens einigermaßen zu beruhigen, dazu mußte sie ihm versprechen, daß sie sich die ganzen Tage, die sie mit ihrem Chef in Polen verbracht hatte, als Arbeitszeit vergüten lassen würde: 1.000 Mark verlangte sie schließlich vom Iraner. Dieser sagte zwar nicht prinzipiell nein, zückte aber auch seine Brieftasche nicht.

Der ganze Vorfall ist jetzt schon vier Wochen her: „Aber ich weiß immer noch nicht, wo mir der Kopf steht“, so sagte es die polnische Topverkäuferin noch gestern. Und das alles nur, weil irgendeine polnische Behörde in Warschau beschlossen hatte, unter ihren Zollbeamten an der deutschen Grenze einmal „gehörig aufzuräumen“. Was für ein Ärger allein in diesem einen davon betroffenen Fall! Helmut Höge

wird fortgesetzt

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