■ Das Portrait: Der Zeitungsleser
Wer so alt wird wie Erich Kuby – heute 85 –, hat das zweifelhafte Privileg, alle paar Jahre neue Gratulanten seine eindrucksvolle Journalistenvita frei nach Munzinger herunterbeten zu sehen. Bringen wir's hinter uns: Nach der Entlassung aus amerikanischer Gefangenschaft 1947 Chefredakteur des Ruf; in den fünfziger Jahren bei der Süddeutschen Zeitung ein Gegner der deutschen Wiederbewaffnung; Intermezzo bei Springers Welt, Abgang aus Abscheu vor dem dort gepflegten Antikommunismus; freischaffende Existenz, Fernseharbeit („Das Mädchen Rosemarie“); Wechsel zum Stern, Kündigung der Mitarbeit wegen der Pläne der Redaktion, F.J. Strauß zum Kolumnisten zu machen; Wechsel zum Spiegel, dann wieder Arbeit für den Stern bis 1979; Kommentare, Rezensionen und Berichte in der taz; heute Kolumnist für den Freitag, wo er als „Der Zeitungsleser“ immer noch schwungvoll an die Kollegenschaft austeilt.
Ohne Kubys Stimme hätte die bundesrepublikanische Linke ihren Ton nicht gefunden. Aber anders als manche Erich KubyFoto: Peter Peitsch
hauptberuflichen Mahner und Warner sprach er nie als Ahnungsloser. Er war im Krieg gewesen und wurde Antimilitarist; er hatte an Tagungen der Gruppe 47 teilgenommen und wurde ihr Kritiker, weil sie zu unpolitisch agierte; er war einer der bekanntesten Illustrierten-Journalisten und wurde einer der schärfsten Kritiker des Genres. Der taz hat er 1987 in einem umfangreichen Papier Reformvorschläge gemacht, die nicht unerhört blieben. Eine Chefredaktion hat sie sich gegeben, das Layout wurde vom schlimmsten Chaos befreit, die Zeitung ist aktueller geworden, aber im täglichen Kampf gegen die Phrase, in dem Kuby bis heute ein unermüdlicher Partisan ist, wird noch manche Niederlage eingefahren. Das wird Kuby, der seinerzeit auch zur Mannschaft der Schriftsteller-taz gehörte, schon manches Mal geschmerzt haben.
Auch die erneute Lektüre mancher seiner eigenen Kommentare aus den letzten Jahren kann keine ganz schmerzfreie Sache für den „Zeitungsleser“ sein. „Glasnost und Perestroika haben mit der Mauer soviel zu tun wie Sachertorte mit Krabbensalat“, so stand's noch im Juli 1989 in der taz. Für die Soziologie der bundesrepublikanischen Mentalität ist Kuby-Lektüre ein Muß: Denn hier ist einer, der sich traut, Fehler zu machen. Von solchen kann man bekanntlich am meisten lernen. Und oft genug hat er ja auch recht behalten. Jörg Lau
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