Großrazzia gegen arbeitsuchende Polen

Bundesgrenzschutz setzt in Frankfurt (Oder) hunderte Polen fest / Anzeigenblatt-Inhaber verhaftet  ■ Von Adam Powallo

Berlin (taz) – „Achtung! Benötigt werden Zusteller für Zeitungen und Werbeprospekte. 100 DM netto pro Tag. Spitz Verlag GmbH.“ Drei Wochen lang hingen Plakate mit diesem Aufruf auf polnisch in der Grenzstadt Slubice.

In Polen ist gut bezahlte Arbeit rar, und so fanden sich etwa 250 Polinnen und Polen, darunter viele Minderjährige, am vergangenen Samstag um sechs Uhr früh im Industrieviertel Frankfurt-Markendorf ein. Mit einem Touristenvisum, ohne Arbeitserlaubnis.

In einer Lagerhalle, in der Paletten mit Gratis-Blättchen rumlagen, nahm man ihnen die Pässe ab. Eine deutsche Frau beruhigte die Arbeitsuchenden, es handle sich hierbei um die Bestätigung des Arbeitsverhältnisses.

Zwei Stunden später wurde das Terrain von einer uniformierten Einheit des Bundesgrenzschutzes umzingelt. Mit Knüppeln, Schußwaffen und Polizeihunden ohne Maulkorb. Bis zu 24 Stunden wurden die Polinnen und Polen bei brütender Hitze in der Lagerhalle erst festgehalten und dann in ihre Heimat wieder abgeschoben.

Inzwischen hat die Polizei den Inhaber des Anzeigenblattes festgenommen, der die Polinnen und Polen zur Schwarzarbeit über die Grenze gelockt haben soll. Die Staatsanwaltschaft Frankfurt (Oder) wirft ihm Verstoß gegen das Ausländergesetz in schwerem Fall vor.

Eine Zeitung titelt: „Auschwitz an der Oder“

Gegen den Einsatz der Grenzschützer protestiert hat am Montag das polnische Außenministerium. Polens Vizeaußenminister Meller beschwerte sich beim deutschen Botschafter über „die unzulässige Behandlung“ der Festgenommenen. Die polnische Zeitung Slowo titelte: „Auschwitz an der Oder“.

Nach Augenzeugenberichten wurden die Polen in eine Gebäudehalle gedrängt, zuvor hatte man ihnen mit Nummern versehene plombierte Plastikarmbänder um die Unterarme gelegt. Der gesamte Einsatz sei gefilmt und fotografiert worden. Die Tür sei geschlossen geblieben, um den noch kommenden Interessenten für den Zustellerjob vorzugaukeln, sie liefen nicht in eine Falle.

Die Festgenommenen berichten, daß es in der Blechhalle so heiß wurde, daß einige in Ohnmacht fielen. Es habe nichts zu trinken gegeben, und stundenlang konnte man keine Toilette aufsuchen. Verteilt wurden Fragebögen zum Ausfüllen in deutscher Sprache. Auf Drängen der Versammelten, die überhaupt nicht verstanden, was sie unterschreiben sollten, wurde endlich eine Dolmetscherin herbeigerufen.

Sie erklärte, daß auf dem Terrain der Bundesrepublik Deutschland jeder selbst für die Kosten seines Dolmetschers aufzukommen habe. Sie gab das Versprechen ab, daß nach Unterschreiben ebenjenes Formulars jeder seine Papiere zurückbekommen würde. Später stellte sich heraus, daß es sich in Wirklichkeit um einen Vordruck handelte, mit dem sich die Unterschreibenden dazu bekannten, illegal eine Arbeit aufnehmen zu wollen.

Nach sieben Stunden Verhör wurde die erste Gruppe der Festgenommenen freigelassen. Alle hatten Stempel in ihren Pässen, die künftig das Betreten deutschen Staatsgebiets verbieten mit dem Aufdruck: „Ausgewiesen“.

Manche waren mit dem Auto zum Vorstellen nach Markendorf gefahren – die deutschen Grenzbeamten beschlagnahmten sie. Wer eine Erklärung dafür verlangte, sei tätlich angegriffen worden, sagen Augenzeugen. Spät nachts wurden die letzten der Festgenommenen in Autobusse gesetzt und zum Grenzübergang Swiecko gefahren, wo man sie ohne Benachrichtigung der polnischen Grenzbeamten herausließ. Daraufhin mußten sie sieben Kilometer im Fußmarsch nach Hause laufen. Eine Gruppe von 13 Leuten wurde bis zum Sonntag in Haft gehalten.

Eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft in Frankfurt (Oder) erklärte gestern, durch die konzertierte Aktion deutscher Behörden solle die Schwarzarbeit bekämpft werden. Beteiligt an dem Unternehmen Großrazzia waren das Frankfurter Arbeitsamt, die Ausländerbehörde, der Bundesgrenzschutz sowie die ortsansässige Staatsanwaltschaft. Die Sprecherin räumte außerdem ein, „in Einzelfällen“ hätten Beamte des Bundesgrenzschutzes gegen die Polinnen und Polen auch „eine körperliche Einwirkung“ vorgenommen, weil diese versucht hätten, die deutschen Behörden bei „ihren Dienstgeschäften“ zu stören.

Wer wen wie gestört hat, soll in den kommenden Tagen geklärt werden. Von der Staatsanwaltschaft Frankfurt (Oder).