: Die schärfste Waffe war ziemlich stumpf
So oft wie nie zuvor setzte das Parlament einen Untersuchungsausschuß ein – doch die Erkenntnisse zu Stasi-Verstrickung, Flughafen-Mißwirtschaft oder Mykonos-Attentat sind mager ■ Von Dirk Wildt
Sie dürfen Hausdurchsuchungen beantragen, Akten und andere Unterlagen beschlagnahmen lassen sowie Zeugen gegen ihren Willen vorladen. Die Parlamentarischen Untersuchungsausschüsse (PUA) haben ähnlich viel Befugnisse wie sonst nur ein Gericht. In dieser Legislaturperiode setzte das Abgeordnetenhaus fünf Untersuchungsausschüsse ein – so viele wie nie zuvor. Zeitweise waren 52 Abgeordnete – jeder vierte Parlamentarier – mit den Untersuchungen beschäftigt. Der Plenardienst kam zuweilen nicht mehr mit dem Schreiben von Protokollen hinterher. Die Hälfte der Arbeitszeit der zehn MitarbeiterInnen wurde in Anspruch genommen.
Die Ausschüsse sollten
– Stasi-Kontakte der 241 Abgeordneten aufklären,
– erhellen, ob Innensenator Dieter Heckelmann (CDU) die Ermordung von vier iranischen Oppositionspolitikern im Restaurant Mykonos hätte verhindern können,
– Kontakte der Freiwilligen Poliziereserve (FPR) zu Rechtsradikalen unter die Lupe nehmen,
– herausfinden, ob bei der Olympiabewerbung Steuergelder verschleudert wurden, und
– untersuchen, warum die Flughafen-Holding bei Schönefeld 118 Hektar wertloses Ackerland zu Wucherpreisen erworben hat.
Doch die Ergebnisse sind bislang durchweg mager ausgefallen. Das sei ähnlich wie bei den Berichten des Landesrechnungshofs, übt sich Hubert Rössler (CDU), Vorsitzender des Schönefeld-Untersuchungsausschusses, in Sarkasmus: „Die Berichte werden gelesen, doch die Millionen werden weiter verschleudert.“
Dabei zählt Rössler den Schönefeld-Untersuchungsausschuß im Vergleich zu den anderen noch zu den erfolgreichen. Seit Februar 1995 werden dort Zeugen vernommen. Rössler ist überrascht, wie „laienhaft“ die Berlin-Brandenburger Flughafen Holding (BBF) die Grundstücksgeschäfte tätigte. Die Verluste in dreistelliger Millionenhöhe übernehmen die Gesellschafter Bund, Berlin und Brandenburg – also der Steuerzahler. Einzige Konsequenz blieb bislang, daß der Aufsichtsrat zwei Geschäftsführer feuerte. Weitere Schlußfolgerungen müßten die Fraktionen des Abgeordnetenhauses ziehen, betont Rössler. Ein Untersuchungsausschuß habe nur darzustellen, wie sich etwas verhalten habe.
Teilweise sind Parteien an Ergebnissen aber gar nicht interessiert. Musterbeispiel dafür ist der Mykonos-Ausschuß. Seine Arbeit sollte im September vergangenen Jahres beendet werden, Abschlußberichte einzelner Fraktionen lagen bereits fertig in den Schubladen. Doch einen Monat vor der Bundestagswahl am 16. Oktober stellte die CDU überraschend neue Beweisanträge – offensichtlich um das Ende über die Wahlen hinauszuzögern. Die SPD warf und wirft Innensenator Heckelmann bei der Vorbereitung der Tagung der Sozialistischen Internationale im September 1992 dagegen schwere Versäumnisse vor. Damals waren vier Kurden in dem griechischen Restaurant „Mykonos“ erschossen worden. In dem von der SPD längst fertigen Abschlußbericht heißt es: Der verdächtigte Attentäter „Darabi konnte nicht überwacht werden, weil der Innensenator das Abhören von Mitgliedern extremistischer und terroristischer Organisationen behinderte“. Wie durchsichtig die Verzögerungstaktik der CDU war, zeigt sich auch daran, daß in den vergangenen zehn Monaten die Unionspolitiker trotz neuer Zeugenvernehmungen so gut wie nichts Neues zum Sachverhalt beitragen konnten. Der Ausschuß aber tagt immer noch.
Doch der Stasi-Ausschuß ist ein Beispiel für Ineffektivität. Hier sollten alle Mitglieder des Abgeordnetenhauses auf ihre Tätigkeit für die Staatssicherheit der ehemaligen DDR überprüft werden. Obwohl dieser Ausschuß seit 1991 und damit am längsten tagt, hat der Vorsitzende Tino Schwierzina (SPD) an Ergebnissen fast nichts vorzuweisen. Die Vernehmung der Abgeordneten Dieter Klein, Bettina Pech und Norbert Pewestorff (alle PDS) ergab keine beweiskräftigen Ergebnisse. Klein hat der Stasi seine Wohnung für konspirative Treffen zur Verfügung gestellt, von Pech gibt es eine Stasi- Karteikarte mit ihrem Namen, und bei Pewestorff versuchte die Staatssicherheit mindestens einmal, ihn anzuwerben. Alle drei sind weiterhin Mitglieder des Parlaments. Zwei weitere Abgeordnete der PDS, Wolfgang Girnus und Dagmar Pohle, gaben ihr Mandat nicht zurück, obwohl der Ehrenrat des Abgeordnetenhauses ihnen dies aufgrund zu enger Kontakte mit der Stasi empfohlen hatte. Der Ausschuß erledigt sich nun wohl durch Zeitablauf.
Wie wirkungslos wiederum brisante Abschlußberichte sein können, belegt der Ausschuß zur Freiwilligen Polizeireserve. Im März 1993 war bekanntgeworden, daß fünf Reservisten einen „schwunghaften“ Waffenhandel mit Rechtsextremisten betrieben. Wohl auch, weil die Opposition mit einem Untersuchungsausschuß drohte, ermittelte die Polizei anfangs umfänglich gegen die bewaffnete, 2.360 Mann starke Reserve und kam zu erschreckenden Ergebnissen. Über jeden vierten Freizeitpolizisten lagen „strafrechtliche Erkenntnisse“ wie etwa Diebstahl, Betrug, Erpressung und Körperverletzung vor. Im Untersuchungsausschuß bestätigte sich, daß die Überprüfung der Truppe bislang nur mangelhaft war.
Nun ist der Ausschuß seit März zu Ende. 200 Reservisten hat die Polizei entlassen, oder diese schieden freiwillig aus. Doch Polizeipräsdient Hagen Saberschinsky und Innensenator Heckelmann haben die Überprüfung neuer Freiwilliger kaum verschärft – teilweise wäre dies gesetzlich auch gar nicht erlaubt. Obwohl sich also kaum etwas verbessert hat, sind die Sozialdemokraten von ihrer Forderung abgerückt, die Truppe aufzulösen.
Trotz aller Fragwürdigkeit hat allerdings der Fraktionsvorsitzende der Bündnisgrünen, Wolfgang Wieland, „nie den Eindruck gehabt, die Untersuchungsausschüsse sind völlig unnütz“. Es komme allerdings auf den Willen der Regierungsfraktionen an, etwas zu verändern. So hätten etwa Mitte der 80er Jahre die Erkenntnisse eines Untersuchungsausschusses zum Landesamt für Verfassungsschutz, das linke Journalisten, sozialdemokratische und grüne Politiker sowie evangelische Pfarrer observierte, dazu geführt, daß die rot-grüne Koalition den Etat des Verfassungsschutzes zusammenstrich. Die Ergebnisse der jetzigen Untersuchungsausschüsse könnten nach einem Regierungswechsel im Oktober also doch noch relevant werden. Die Bündnisgrünen wollen die Polizeireserve nämlich auflösen.
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