Tanz ums goldene Kissen

■ Der Tag X für Findorffs neue „gute Stube“: Das umstrittene Riesenkissen von Thomas Recker kam gestern an seinen Platz an der Hemmstraße/ Heute Übergabefeierlichkeiten für die „Kunst im öffentlichen Raum“

Findorff stieg gerade aus den Betten, da war der Künstler schon längst am Werk. In aller Frühe hatte sich Thomas Recker gestern mit seinem Kranwagen auf den Weg gemacht, um das umstrittene Kunststück aus der Oldenburger Gießerei nach Findorff zu schaffen. Sollte alles ganz schnell gehen? Bevor erboste Kritiker den Platz besetzen, „Spießerkunst! Spießerkunst!“ skandierend?

Kurz vor neun Uhr, im Bettenhaus „Kindervater“ gehen gerade die Rolläden hoch, Recker wuchtet das Ding auf den Platz. Ratzfatz sind die Gewindestangen im Betonfundament verankert. So. 2,40 Meter mal 2,80 Meter Bronze, makellos verarbeitet, in allerliebster Kissenform, übersät mit eingravierten Findorffer Geschichten. Jetzt sollen sie doch mal kommen, die Meckerer. Die im letzten Jahr die Klappe so weit aufgerissen hatten. Die schon den Entwurf, den Recker für den Wettbewerb gezeichnet hatte, ganz schrecklich fanden: Ausgerechnet ein Kissen für unser schönes Findorff, für unseren schönen, neuen Platz! Findorff – zum Schnarchen schön? Findorff – Hort der Schlafmützen? Gute Nacht, Findorff? Oder wie?

„Ich war ja erst skeptisch“, gibt der ältere Herr großmütig zu und blickt durch seine dicke Sonnenbrille wirklich skeptisch auf Reckers Werk. „Ich dachte: Was soll das denn? Aber jetzt muß ich sagen: Das ist ganz gut gelungen.“ Recker fegt eben die letzten Betonbrocken weg, da trudeln schon die ersten Kritiker ein. Treten näher, um das goldglänzende Wunder genauer zu betrachten, das offenbar aus irgendeinem Raumschiff ausgerechnet auf die Hemmstraße geplumpst ist. Was sind das bloß für Zeichen, die da eingeritzt sind? „Hier, das soll doch wohl ein Torfkahn sein.“ – „Da, noch einer.“ – „Wissen Sie noch, wie die Torfkähne hier den Kanal raufgeschippert sind?“ – „Da, die Bürgerweide. Und der Weidedamm, die ganzen Parzellen.“ – „Ja, das ist jetzt wohl auch bald alles weg.“

Recker schweigt, fegt und genießt. Denn so oder ähnlich hatte er sich's schon vorgestellt, als er dem Beirat im vergangenen Jahr das Kissen unterbreitete. Spießig? Aber natürlich ist es spießig, mit seinem ordentlichen Kniff in der Mitte, mit seinen zwei Zipfeln, die zum Himmel schreien. „Sie wollen hier doche eine gute Stube haben“, sagt Recker, „die sollen sie haben!“ Über Spießermobiliar könnten sich im übrigen doch nur Spießer aufregen. Jeder kenne doch wohl „diese Lust, so'n bißchen spießig sein zu wollen, ohne es richtig zugeben zu

Lust, ein bißchen spießig zu sein

können.“ Damit sollten die Findorffer doch einfach mal offen umgehen, „dann zeigen sie erst, daß sie wirklich ein offener Stadtteil und keine Schlafmützenstadt sind.“

Aber mußte es unbedingt ein Kissen sein? Der Herr von „Foto Blume“ hat da immer noch Zweifel. Aus seiner Ladentür linst er vorsichtig über den Platz auf das Kissen. Da müsse er erstmal hören, „was die Kunden dazu sagen“. Ein stilisierter Torfkahn, „ja, das wäre was gewesen!“ Da ist die ältere Dame aus der Nachbarschaft ganz anderer Ansicht. „Die Zeit ist doch vorbei!“ Ihr Gatte assistiert: „Das wäre doch bloß Heuchelei, wenn man da die alten Sachen hinstellt.“

Inzwischen sind auch die Arbeiter aus der Kunstgießerei eingetrudelt. Die erste Dose Frühstückpils in der Hand, beäugen sie ihr Werk. In acht Teile mußte das Modell zerlegt und abgegossen werden, „aber jetzt siehst Du keine Naht mehr“. Der Ziseleur hat ganze Arbeit geleistet, attestieren die Kollegen. Leider konnte der kleine Findorffer Betrieb das nicht selbst machen: „Das Ding hätte nachher nicht mehr durch unsere Tür gepaßt“; so mußte man einer Oldenburger Industriegießerei den Rest überlassen. Schön ist die Patina geraten, die man künstlich eingeätzt hat, um das Kissen noch ein bißchen malerischer zu gestalten; schön auch, „wie die Oberflächenspannuing herauskommt“, erklärt einer: „Da wirkt die Plastik wie aufgeblasen – das lieben die Bildhauer.“

Erst recht der Thomas Recker. Der liebt es plastisch-drastisch, wie an seinen bisherigen öffentlichen Plastiken abzulesen ist. In der Neuen Vahr freuen sich die Bürger über einen bronzenen Teddybär, der munter über die Berliner Freiheit purzelt. Und an der H.-H.-Meier-Allee hat Recker Gräfin Emma und Herzog Benno in ganzer Aufgeblasenheit aufgepflanzt, auf dicken Riesenrossen reitend. Da fügt sich das Kissen nahtlos ein. „Warum soll Kunst so bierernst sein“, fragt die Dame in Findorff, „daß kann doch ruhig ein bißchen ironisch sein.“ Der Künstler hört's mit Wohlgefallen. Aber erstmal wird das gute Stück wieder zugehängt, mit einer Plastikplane. „Damit die morgen was zum Enthüllen haben.“ tw

Die Skulptur wird heute um 12 Uhr durch die Kultursenatorin vor Ort der Öffentlichkeit übergeben