Rotzfrech - dann verhaftet

■ Polizei ermittelt gegen Kinder: Verhaftung, ob die Täterbeschreibung paßt oder nicht

Ein langer eckiger Tisch im Polizeirevier Steintor am Brommyplatz, drumherum sitzen der Ortsamtsleiter, die Ausländerbeauftragte, zwei Sozialarbeiter, der Revierleiter Schurwanz, Polizeibeamte, ein taz-Redakteur. „Gestern lief hier alles heiß“, sagt der Revierleiter – nach dem taz-Bericht über die Polizeiaktion gegen sechs Flüchtlungs-Kinder (vgl. taz 29.6.). Der Polizeipräsident, von der taz um eine Stellungnahme befragt, hatte sich nicht äußern wollen, bevor ein detaillierter Bericht vorliegt. Man habe auf die Schnelle alles überprüft, die Berteiligten befragt – „rein rechtlich ist nichts zu beanstanden“, sagt der Revierleiter. Zwei Stunden lang prallten an dem eckigen Tisch zwei Welten aufeinander.

Die Polizeibeamten berichten über ihren schweren Arbeitsalltag im Steintor, vor allem wegen der libanesischen Kinder-Banden. Am vergangenen Miontag waren drei Halbwüchsige in ein Kurzwarengeschäft gegangen, hatten die 79jährige Inhaberin rüde zur Seite geschubst und ca. 100 Mark aus der Kasse geklaut. Das ist Alltag für die Polizei, Alltag ist auch der kleine Raubüberfall auf andere Halbwüchsige, denen Schuhe, Jacken, Geld gestohlen wird. „Rotzfrech“ sind die Kids dabei gegenüber der Polizei, das Arsenal der Schimpfworte bricht alle sexistischen Tabus. Kinder des Bürgerkriegs, erinnert Robert Bücking, mit unvorstellbaren Gewalt-Bildern im Unterbewußtsein oder im Kopf.

Nach dem Raubüberfall auf die alte Dame war die Polizei am Montag vor Flüchtlingshäuser gefahren, die ihr bekannt sind, berichten die Beamten. Vor dem Haus St.-Jürgenstraße stand eine Gruppe – die stob auseinander, als die Streife vorbeifuhr. „Wäre Ihnen das nicht verdächtig vorgekommen? Die hatten ein schlechtes Gewissen.“ Wenig später hatte die Gruppe sich wieder versammelt, auf die Kids trifft die „Täterbeschreibung“ der alten Dame zu - die Polizei zieht Kräfte zusammen, umstellt die Kinder und Jugendlichen. Die Kinder seien „rotzfrech“ geworden, hätten die Beamten in übelster und ehrverletzender Weise beschimpft. Und: „Die wollten gar nicht mit“, sagt die Beamtin. Die Polizeibeamten finden das nicht normal. Daß sie den Jugendlichen nicht erklärt haben, warum sie denn überhaupt mitkommen sollten – auch das entspricht der Polizeiordnung.

Aus den Häusern kommen andere Personen hinzu, die Polizei kassiert die sechs ein und fährt sie weg – zur Wache. „Stellen sie sich vor, wenn wir vor einem solchen Haus diese ganze Zeremonie ablaufen lassen.“

Mitgenommen werden auch zwei Schwarze, 9 und 11 Jahre alt, obwohl die nicht unter die Täterbeschreibung fallen. Es hätte ja sein können, daß die Schmiere gestanden haben, sagt der Revierleiter - die ganze Gruppe war im Verdacht.

Muß die Polizei die Erziehungsberechtigten informieren, wenn sie Minderjährige „auf der Wache vorführt“ und dort vernimmt? „Ja sicherlich“, sagt der Revierleiter. Und warum hat sie das nicht getan? „Wir wußten ja nicht, wen wir da vor uns hatten, die sagen ihre Namen nicht so“, erklärt ein Polizeibeamter. Warum hat die Polizei nicht die aus dem Haus kommenden Erwachsenen gefragt, ob darunter Erziehungsberechtigte waren? Dreimal die Frage, keine Antwort. Auf die Idee ist offenbar niemand gekommen. „Das läßt sich nicht mit deutschen Verhältnissen vergleichen. Das sind Großfamilien...“

Auf der Wache werden die Kinder und Jugendlichen von der Kripo befragt. „Kinder dürfen wir nicht vernehmen“, sagt der Polizeipressesprecher. Daß bei einer Vernehmung Erziehungsberechtigte dabei sein sollten, „das würden wir gewährleisten“, sagt die Beamtin. Eine Vernehmung war das auch nicht, sagen die Polizisten, nur eine erste Befragung. Auch als die Kinder gezwungen wurden, sich bis auf die Unterhose auszuziehen, war keiner der Erziehungsberechtigten dabei. Der Revierleiter holt ein kleines Waffenarsenal hervor: „Das haben wir bei solchen Jugendlichen alles gefunden“, sagt er. Klappmesser, Schlagwerkzeuge, alles kein Spielzeug. Hat die Polizei diese Waffen bei diesen sechs Kindern gefunden? „Nein“.

Die 79jährige Landeninhaberin wurde geholt, ihr wurden die sechs gegenübergestellt – „Nein, die waren es nicht.“ Daraufhin habe man sie „den Eltern übergeben, die vor der Tür warteten“, sagt der Revierleiter. Aber wer da genau vor der Tür stand, wem die Jugendlichen übergeben wurden, das weiß er nicht. Sie haben auch keinen Zettel mitbekommen, mit dem sie ihren Erziehungsberechtigten zuhause erklären konnten, daß sie irrtümlich verdächtigt und mitgenommen worden waren.

„Wir haben keinen Fehler gemacht“, sagt der Revierleiter. Aber gern greift er den Vorschlag von Ortsamtsleiter Robert Bücking auf, gemeinsam einmal die betroffenen Familien zu besuchen und einen Gesprächsfaden aufzunehmen. Ein Polizist: „Ich habe gelernt, daß ich mich auch mal in die Situation der Kinder reinversetzen müßte.“

K.W.