Nachschlag

■ Bürgers Krieg: Das dänische teatret cantabile mit „Snipers“

Am lauen Sommerabend stehen die Wetten nicht eben gut für dänisches Off-Theater in Berlin. Vier freie Gruppen aus dem Land des Smörrebröd stellen in den nächsten Monaten im Tacheles ihre neuen Produktionen vor. Der Handzettel sagt: „Die Idee der nordischen Theaterkultur wird eine Übersetzung erfahren, die sich in ihrer Symbolik und Ästhetik und in ihren radikalen und intensiven Bildern aktuellen gesellschaftlichen Tendenzen (ohne moralisierend oder belehrend zu sein) entgegensetzt.“ Na denn. Mit „Snipers“ erzählt das teatret cantabile 2 aus Vordingborg vom Bürgerkrieg im Balkan, den staatliche Theaterklopse hierzulande Frau Christiansen überlassen.

Rostige Metallstangen ragen im Tacheles-Theatersaal bis an die Decke, aus der Trümmerlandschaft tönen sakrale Chöre. Mit aller Wucht rennt eine Frau immer wieder gegen eine Blechwand. Dann die erste schreckliche Ahnung, wenn nach fünf Minuten eine krakelige Kinderzeichnung auftaucht. Ängstliche Blicke, schmerzverzerrte Gesichter, brutales Trampeln – nach zehn Minuten kein Zweifel: Vier Frauen und ein Mann wollen das Schlachten in Bosnien auf der Bühne allen Ernstes nachspielen. Halb nackt und schlammbeschmiert, erzählt eine Frau von Kindern, denen die Augen ausgeschnitten werden, berichtet eine andere weinend vom Sterben der Familie. Alles Englisch im breitesten Balkanakzent, „Abbilder einer Realität, welche diese durch ihre Abbildlichkeit bereits besänftigen“, wußte bereits Adorno. Weit aufgerissene Augen, bedeutungsschwangere Gesten, pantomimisch überzogene Bewegungen – mit Ausdrucksmitteln, die jede gymnasiale Theater-AG blamieren würden, liefert die dänische Crew ihr kleines Bühnenbosnien. Bedeutungsvoll drückt der Krieger den sanftmütigen Frauen Gewehre in die Hand. Zaghaft beginnt die verführte Weiblichkeit herumzuballern. Jawohl, die Männerschweine.

Trotz der melodramatischen Musiksoße, die alles überkleistert, kippt das dänische Debakel nicht zum Trash. Dafür sind manche Szenen einfach zu ärgerlich. Beispielsweise wenn nackter Mann auf nacktem Bett minutenlang Elektroschocks spielt. Mit konvulsivischen Zuckungen und lebensechten Verkrampfungen. Ganz zu schweigen vom Solo der blonden Unschuld im Bombenhagel. Eigentlich fast schon wieder bewundernswert, so viel ästhetische Naivität. Zumal das Bewußtsein moralischer Unbescholtenheit die ganze Veranstaltung wie ein Heiligenschein umgibt: Jede Schauspielerin ein Leiden Christae. Der Mann, das Tier, gibt meist merkwürdige Grunzlaute von sich.

Der Handzettel enthüllt außerdem, „daß die Medien und einzelne Bilder (z. B. Fernsehen und Bildreportagen) in solch einem Krieg eine Rolle spielen“. Ab und zu wird lustlos eine Videokamera samt Bildschirm aus- und angeknipst. Noch mehr aufgerissene Augenpaare. Nach zwei Stunden weiß man, daß Kriege schlecht und Greuel greulich sind. Katja Nicodemus

„Snipers“, wieder ab 2. 7., 21 Uhr, im Tacheles, Oranienburger Straße 54-56a, Mitte