Nur Steffi guckt wie drei Tage Regenwetter

■ Weil die Sonne von Tag zu Tag heftiger scheint, sind in Wimbledon bis auf die Schwarzhändler alle prima gelaunt: Ach ja, eine Miss Graf seufzt trotz Sieges auch

Wimbledon (taz) – „Es ist völlig absurd, Anfang Juli in London ein Tennisturnier im Freien zu veranstalten“, hat der führende Wimbledon-Kritiker früherer Zeiten, John McEnroe, einmal gesagt. Dann würde es dort nämlich unweigerlich regnen. In diesem Jahr dürfte der zum artigen TV-Kommentator gewandelte Ex-Schrecken der Ladies und Gentlemen aus dem Staunen kaum herauskommen. Wimbledon sieht aus wie eine zypriotische Ferienkolonie, allenthalben finden sich knallrote Gesichter und geröstete Gliedmaßen. Der tägliche Wetterbericht verspricht „Sonnenblock nach Sonnenblock“ und faßt die Aussichten der nächsten Tage in zwei Worten zusammen: „Same again.“ Ein Posten wird in der fetten Finanzbilanz des Jahres 1995 auf jeden Fall erheblich schmaler ausfallen als sonst: der Erlös aus dem Verkauf von Wimbledon-Regenschirmen und Wimbledon-Not-Regenmänteln.

Ärgerlich über das erlesene Wetter sind vor allem die „Touts“, die vor der Anlage überzählige Karten aufkaufen, um sie mit beträchtlichem Gewinn weiterzuverscherbeln. „Bei diesem Sonnenschein gehen alle, die Tickets haben, selber hin“, klagt einer der Schwarzhändler. Schlechte Aussichten auch für diejenigen, die stundenlang auf der Church Road warten, um Einlaß ins Heiligtum zu finden, ohne die horrenden Schwarzhändler-Preise (eine Centre-Court-Karte kostet rund 500 Mark) zahlen zu müssen. Sie warten auf offiziell zurückgegebene Karten und die Tickets von Leuten, die vorzeitig die Anlage verlassen, welche der Lawn Tennis Club umgehend weiterverkauft. Aber wer geht bei diesem Wetter schon früher heim?

Auf dem Gelände selbst ist die Hölle los. Neue Besucherrekorde und der Wegfall jener Wiese, auf der gerade der neue Court 1 entsteht, sorgen dafür, daß das Gedränge noch größer ist als früher. Ein Abstecher zu den Nebenplätzen gleicht einem Kaufhausbummel am Samstag vor Weihnachten, denn die Courts sind alle in der Mitte der Anlage zusammengeballt und die Verbindungswege den Londoner Straßen nachempfunden. Passen dort keine zwei Autos aneinander vorbei, gilt dies in Wimbledon für zwei Fußgänger. Die Verkehrsprobleme sind auch den Veranstaltern aufgefallen, und so gibt es längst den Plan „Wimbledon ins 21. Jahrhundert“, der eine Entzerrung des Plätze-Labyrinths und mehr Platz für alles, vor allem natürlich für Sponsorenzelte, vorsieht. „Hoffentlich“, so Steffi Graf, „lassen sie ein wenig Platz für die Leute, damit die sich mal hinsetzen können.“

Wer es geschafft hat, sich auf einen Nebenplatz durchzudrängeln, kommt durchaus auf seine Kosten. Es gibt Matches zu sehen, die bei anderen Turnieren auf dem Centre Court stattfänden, man kann den Spielern fast auf den Schläger spucken und sich außerdem über die zahlreich vertretenen deutschen Zuschauer freuen, die man daran erkennt, daß sie bei Punkten ihrer Lieblinge gern ein markiges „Jawoll“ herausbrüllen. Dies wiederum erheitert das englische Publikum ungemein, entspricht es doch genau dem sorgsam gehegten Klischee. Auf Platz 13 nützten Marc-Kevin Goellner am Donnerstag auch die schönsten Jawolls nicht viel, er verlor in fünf Sätzen gegen den vom Restpublikum begeistert gefeierten Mats Wilander, der damit seine klitzeklitzekleine Chance wahrte, als erster Spieler seit Rod Laver alle vier Grand- Slam-Turniere zu gewinnen.

Steffi Graf hat mit Nebenplätzen selbstverständlich nichts am Hut, ihre Heimat ist der Centre Court. Dort bezwang sie die Südafrikanerin Amanda Coetzer zwar mit 6:3, 7:5, war hinterher aber alles andere als glücklich. Weniger die nächste Gegnerin, die Weltranglisten-58. Kristie Boogert, als ihre chronische Rückenverletzung, die sich in Wimbledon so verschlimmerte, daß sie das Doppel mit Martina Navratilova absagen mußte, schlägt ihr sichtbar aufs Gemüt. Die inquisitorischen Fragen deutscher Journalisten taten ein übriges.

„Warum wird bloß alles so negativ gesehen“, klagte sie, den Tränen nah. Aber sie wäre nicht Steffi Graf, wenn dem Break nicht gleich eine krachende Vorhand gefolgt wäre: „Ihr schreibt doch auch oft unheimlichen Mist.“ „Advantage, Miss Graf“, wie es in Wimbledon so schön heißt.