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Der 1. Juli ist kein „heiliger Termin“

Der Termin für die Unterzeichnung des israelisch-palästinensischen Autonomieabkommens ist ergebnislos verstrichen / Freilassung von 1.500 Gefangenen angekündigt  ■ Aus Tel Aviv Amos Wollin

Seit der Unterzeichnung des Osloer Abkommens zwischen Israel und der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) im September 1993 hat es eine ganze Reihe vereinbarter, aber nicht eingehaltener Termine zur Durchführung der einzelnen Phasen der palästinensischen Autonomie gegeben. Auch jetzt ist der vor wenigen Monaten auf den 1. Juli festgelegte neue Termin für die Ausweitung der Autonomie auf die Westbank ergebnislos verstrichen. Dabei geht es um Einzelheiten des israelischen Abzugs aus palästinensischen Städten der Westbank im Vorfeld von Wahlen, sowie um die Übergabe weiterer Zivilressorts an die palästinensische Regierungsbehörde.

Nach Aussage der israelischen Minister Schimon Peres und Jossi Sarid, die den Verhandlungsprozeß mit PLO-Chef Jassir Arafat überwachen, sollen die Delegationen aber erst in ungefähr 14 Tagen in der Lage sein, einen „Interimsvertrag“ zu unterzeichnen: „Vorausgesetzt, daß die Palästinenser die israelischen Sicherheitsbedingungen akzeptieren.“

Nach israelischem Wunsch, der vom Osloer Abkommen weitgehend abweicht, sollen die Truppen zunächst nur aus vier Westbankstädten (Jenin, Nablus, Tulkarem und Kalkilya) abgezogen werden. Nach den palästinensischen Wahlen am Jahresende will Israel über weitere Truppenabzüge entscheiden. Voraussichtlich sollen Ramallah und Betlehem zu den Städten zählen, die in der ersten Hälfte des nächsten Jahres von israelischen Soldaten geräumt werden sollen. Von einem Truppenabzug aus Hebron könne zunächst nicht die Rede sein. Beachtenswert ist, daß die israelischen Truppen nur aus dem Stadtinnern abgezogen werden sollen: Sie bleiben in der Westbank auch weiterhin in ihren Lagern und im Umfeld der ungefähr 140 israelischen Siedlungen. Diese Umgruppierung des Militärs und zusätzliche Absicherung der jüdischen Siedlungen in der Westbank wird voraussichtlich 400 Millionen Dollar kosten.

Trotz langer Verhandlungen in der ägyptischen Hauptstadt Kairo gibt es auch weiterhin Differenzen über die Wahlordnung in Ost-Jerusalem, die Zusammensetzung und Funktion des palästinensischen Nationalrats und die Übergabe der meisten der 40 Zivilverwaltungsbereiche an die Palästinenser. Peres erklärte vor einigen Tagen, daß Israel beabsichtigte, den Palästinensern „alle Zivilressorts, aber nicht alle Vollmachten“ zu übergeben. Das bezieht sich auch auf Fragen, die Land und Wasser betreffen, zwei besonders wichtige Bereiche.

Der Hungerstreik der palästinensischen Gefangenen, die ihre Freilassung fordern, hat die israelischen und palästinensischen Verhandlungsteams vor ein zusätzliches Problem gestellt. Ein israelischer Ministerialausschuß hat am vergangenen Donnerstag beschlossen, bis zu 1.500 der insgesamt 6.000 Häftlinge nach Unterzeichnung des ausstehenden Autonomieabkommens freizulassen und weitere 1.000 bis 2.000 im Zusammenhang mit den palästinensischen Wahlen.

Sprecher des palästinensischen Gefangenen-Komitees betonen, daß der gegenwärtige Streik bis zur Freilassung aller Gefangenen fortgesetzt werden soll. Der gesamte neue israelische „Fahrplan“ reicht bis Mai 1996, dem geplanten Beginn der dreijährigen Endphase der in Oslo festgelegten Verhandlungen über eine endgültige Lösung. Darunter fällt auch die Zukunft Jerusalems, der Siedlungen und der palästinensischen Selbstverwaltung.

Heute, am ergebnislos verstrichenen Stichtag für das neue Abkommen, will sich Peres mit Arafat treffen, um die bisherigen Verhandlungsergebnisse zusammenzufassen. Außerdem wollen sie eine Absichtserklärung über eine baldige Unterzeichnung des Abkommens veröffentlichen. Diese Prozedur widerspricht zwar allen bisherigen israelisch-palästinensischen Abkommen, aber Arafat hat keine andere Wahl, als sich an die von Israel festgelegten Spielregeln zu halten.

Ursprünglich hatte das Osloer Grundsatzabkommen den Abzug israelischer Truppen aus allen von Palästinensern bewohnten Bevölkerungszentren der Westbank gefordert und Nationalratswahlen bis zum 13. Juli 1994 vorgesehen. Bisher kam es jedoch lediglich zur Umsetzung des Gaza-Jericho-Abkommens und selbst dieses 1994 in Kairo unterzeichnete Abkommen ist bisher teilweise unerfüllt geblieben.

Die Regierungen in Washington und Kairo haben Jassir Arafat dringend geraten, die neuen israelischen Bedingungen anzunehmen. Der US-amerikanische Kongreß macht jetzt ganz offen alle weitere finanzielle Unterstützung der Palästinenser von ihrer Kompromißbereitschaft gegenüber Israel abhängig.

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