60 Todes-Transporte im Jahr

Hessen wehrt sich gegen russisches Plutonium / Bonner Staatssekretäre für Verarbeitung des Bombenstoffes in Hanau  ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Frankfurt/Main (taz) – Mit Zähnen und Klauen wehrten sich gestern Sozialdemokraten und Bündnisgrüne in Hessen gegen den Vorschlag einer Arbeitsgruppe der Bundesregierung. Staatssekretäre aus acht Bonner Ministerien empfehlen laut einem Bericht der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung, die von der Stromwirtschaft aufgegebene neue MOX-Fabrik in Hanau zur „Vernichtung“ von waffengrädigem Plutonium aus Rußland zu nutzen. Als „friedenspolitisch und ökologisch groben Unsinn“ bezeichnete etwa der Landesgeschäftsführer der hessischen SPD, Norbert Schmitt, das Ansinnen, ausgerechnet in Hanau das Plutonium aus den Atomsprengköpfen der Ex- UdSSR-Raketen – zusammen mit Uran – zu Mischoxid-Brennelementen verarbeiten zu lassen.

„Die Ankündigung von Außenminister Klaus Kinkel, jetzt nach Moskau zu reisen, um das dortige Plutonium zur Verarbeitung nach Hanau zu holen, zeigt, daß es sich um ein Profilierungsproblem der FDP handelt, da die Russen offenbar erst noch darüber informiert und davon überzeugt werden müssen“, konstatierte der Fraktionsvorsitzende der Bündnisgrünen in Hessen, Fritz Hertle. Vordergründig solle Kriegswaffenplutonium abgerüstet werden, sagte Hertle weiter. Aber tatsächlich ziele der Vorschlag auf eine Verlängerung der Laufzeiten der Atomkraftwerke ab, in denen die MOX- Brennelemente zum Einsatz kommen könnten. Hertle: „Wem es wirklich um die Sicherstellung des russischen Plutoniums geht, sollte sich zuallererst auf internationaler Ebene dafür einsetzen, daß in Rußland sichere Plutoniumlager eingerichtet werden.“

„Macht mir die Plutoniumlager sicher!“ Das war auch die Forderung der hessischen Friedens- und KonfliktforscherInnen Anette Schaper und Harald Müller im Interview mit der taz (3. 6.). Vor allem die langen Transportwege gaben für die ExpertInnen aus Frankfurt/Main den Ausschlag, die auf den ersten Blick sinnvolle Option wieder zu verwerfen.

Nach Auffassung der ressortübergreifenden Arbeitsgruppe in Bonn seien bei Wahrnehmung der MOX-Option etwa 60 Transporte notwendig – über den Land- und Seeweg oder mit dem Flugzeug würde das hochgiftige Plutonium in das Ballungsgebiet Rhein-Main geliefert. Kinkel soll jetzt in Moskau das Terrain ausloten. Die Russen bezeichnen das Plutonium als „nationale Energiereserve“ und wollen das Plutonium höchstens teuer verkaufen. Sind sie trotzdem einverstanden, will das Bundeskabinett nach Informationen der taz noch vor der Sommerpause eine Entscheidung treffen.

Allerdings könne ein solches Projekt nur in Angriff genommen werden, wenn auch SPD und Bündnisgrüne in Hessen diesem „Abrüstungsbeitrag“ zustimmten, hieß es weiter in Bonn. Wie der CDU-Abgeordenete Kurt-Dieter Grill sagte, werde es in diesem Fall keine Bundesanweisung an die Landesregierung geben. Die Spitzen der deutschen Stromwirtschaft hatten bereits vor Wochenfrist signalisiert, daß die Energieversorgungsunternehmen „im Prinzip“ dazu bereit seien, MOX-Brennelemente mit Waffenplutonium zu „vernünftigen Preisen“ zu kaufen und in ihren Reaktoren einzusetzten. Hanau hat jedoch nur eine Genehmigung zur Verarbeitung zivilen Plutoniums.