■ Mit modernen Christen auf Du und Du: „Kirche ist für alle da“
Die Mitgliederzahlen der Bremischen Evangelischen Kirche (BEK) schrumpfen seit Jahren konstant. Die Kirchensteuer sei zu teuer, begünden viele ihren Austritt aus der religiösen Gemeinschaft, andere entfremden sich von der Institution Kirche. „Wir wissen, daß wir die Themen der Zeit nicht mehr rund um den Kirchturm lösen können“, sagt Ottmar Hinz vom Bildungswerk der BEK. Arbeitslosigkeit, Umweltverschmutzung, Gleichstellung von Frauen – darum müsse sich die Kirche heute kümmern. „Die Kirche kann sich da nicht dran vorbeimogeln“, meint Hinz.
Seit einigen Jahren gehen Hinz und viele andere ProtestantInnen diese Themen aktiv an. Am Samstag haben sie die verschiedenen sozialen Dienste vorgestellt, die Türen der kirchlichen Einrichtungen weit geöffnet. BremerInnen sollten selbst erleben, „was die Kirche da so macht“. Anlaß für den Tag der offenen Tür, war der 75. Geburtstag der BEK-Verfassung. Nach den revolutionären Errungenschaften von 1919 wollte die evangelische Kirche damals nicht länger zurückstehen und verpaßte sich eine demokratische Verfassung. Seitdem ist sie autonom und basisdemokratisch, kein Bischoff hat seit1920 sein Zepter über die Bremer ProtestantInnen geschwungen.
Heinz-Herrmann Brauer, Vorsitzender der BEK, hatte sich für den Tag ein historisches Kostüm der zwanziger Jahre geborgt. In einer ebenfalls historischen Straßenbahn fuhr er zum Haus Kirchlicher Dienste, überreichte dort noch einmal die demokratische Vereinbarung. „Die Verfassung garantiert auch die Vielfalt hier im Haus“, meint Hinz.
BürgerInnen können sich dort über Energiesparen informieren, im Eine-Welt-Laden alles über fairen Handel mit Entwicklungsländern erfahren, das Filmstudio benutzen, an unzähligen Weiterbildungsseminaren teilnehmen. Die BEK ist die letzte Einrichtung in Bremen, die Kurse mit Kinderbetreuung anbietet. Die Kurse sind daher oft schon nach wenigen Stunden ausgebucht.
So offensiv sich Hinz mit der heutigen Kirche auseinandersetzt, geht er auch mit der Geschichte des Hauses an der Holler Allee um. 1902 von einem reichen Bremer erbaut, setzte sich in der Nazi-Zeit die SA in der prächtigen Villa fest. „Von hier gingen die Befehle zum Progrom von 1938 aus“, sagt Hinz und blickt sich noch heute mit Abscheu um. Denn gerade in Bremen hätten die SA-Schergen besonders schlimm gewütet. Deswegen müsse die Geschichte des Hauses immer wieder erzählt werden. Dazu gehören für Hinz auch die Biographien der Gehörlosen, die sich in der Gehörlosenseelsorge treffen. Die Faschisten hatten einige der Älteren zwangssterilisiert. Das Erbgesundheitsgutachten mußten die gepeinigten in der Holler Allee abholen. ufo
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