Wie der Kasper aus der Kiste

■ Gesichter der Großstadt: Uwe Döring, männlicher Spitzenkandidat der PDS für die Abgeordnetenhauswahlen im Oktober, gibt sich als volksnaher Pragmatiker

„Mir wird erst langsam klar, daß ich jetzt, wie das so schön heißt, der männliche Spitzenkandidat der PDS bin.“ Mit angestrengtem Blick sitzt Uwe Döring da, er spricht langsam, jeden einzelnen Satz formt er vor in seinem Kopf. Nein, zum Politiker ist der 41jährige Betriebsratsvorsitzende nicht geboren. Über die Antriebstechnik von Elektromotoren spricht er ganz gelassen und auch über den Arbeitsplatzabbau in der Berliner Metallindustrie.

Neulich, so erzählt Uwe Döring, habe er in Hohenschönhausen auf einer Veranstaltung mit PDS-Vorstandsmitglied, André Brie und dem ehemaligen DKP-Theoretiker Heinz Jung über „die Perspektiven der PDS zwischen Klassenkampf oder Gesellschaftsvertrag“ diskutieren müssen. Eine „merkwürdige Atmosphäre“ sei dort gewesen. Nur mit Begriffen hätten die beiden um sich geschmissen. Uwe Döring lacht, „da hatte ich es als Praktiker einfacher.“

Wie der Kasper aus der Kiste stand der parteibuchlose Uwe Döring auf dem PDS-Landesparteitag Mitte Mai plötzlich auf Platz zwei der PDS-Landesliste für die Wahlen zum Abgeordnetenhaus, gleich hinter der Landesvorsitzenden Petra Pau. Die Kungelrunden an der Spitze des Landesverbandes hatten ihn nicht eingeplant. Einige Freunde aus der Partei hatten ihm zugeredet, doch einfach mal zu kandidieren, und dann reichte eine Lobeshymne der Bundesvorstandsfrau Judith Dellheim aus, um die Delegierten für den Außenseiter zu gewinnen. Die Irritationen, die das in der Partei ausgelöst hat, versucht Uwe Döring zu glätten. Nein, es sei keine Kandidatur gegen den in Teilen der PDS ungeliebten Harald Wolf gewesen. „Ich glaube, daß die Delegierten den Politikbereich Arbeit und Gewerkschaften auf der Landesliste stärker gewichten wollten.“

Seit 20 Jahren sitzt Uwe Döring im Betriebsrat der AEG in Berlin, seit 15 Jahren ist der 41jährige gelernte Elektromechaniker freigestellt, seit 11 Jahren Betriebsratsvorsitzender. Anfang des Jahres wurde der Betriebsteil in Marienfelde aus dem AEG-Konzern herausgelöst und an ein Tochterunternehmen der Alcatel verkauft. Uwe Döring avancierte anschließend zum Gesamtbetriebsratsvorsitzenden der AEG-AAS GmbH. Die Kollegen werden in Zukunft ohne ihn auskommen müssen, die Betriebsratskarriere ist zu Ende. Die Betriebsleitung ist froh, daß sie den Neupolitiker in Kürze los ist. Seine Anfrage nach einem Halbtagsjob, so Döring, habe die Geschäftsleitung barsch abgelehnt, jetzt wird er wohl zunächst für vier Jahre beurlaubt.

Als Betriebsrat im Parlament möchte sich Uwe Döring parteiübergreifend dem Erhalt von Arbeitsplätzen widmen. Jeder Firma in Westberlin habe man bis in die achtziger Jahre das Geld nachgeworfen, und jetzt, wo die Subventionen nicht mehr fließen, zögen sie reihenweise ab. „Wo bleibt“, fragt Uwe Döring empört, „da jetzt die gesellschaftliche Verantwortung der Unternehmen?“

Nein, „Avantgarde der Arbeiterklasse“ wolle er schon lange nicht mehr sein. Noch als SEW- Mitglied habe er sich, „spät, aber nicht zu spät“, die Frage gestellt, „was für einen Sozialismus vertreten wir eigentlich“, dann, 1990, habe er der Partei den Rücken gekehrt. Jetzt will Uwe Döring einen anderen Politikstil entwickeln. „Wenn ich wiedergewählt werden will“, gibt sich der Spitzenkandidat volksnah, „dann fragen mich die Menschen doch, was ich für sie getan habe, nicht, welchem Gesellschaftsmodell ich anhänge.“

Vor dem frostigen Klima, das der PDS im Abgeordnetenhaus vielfach entgegenschlage, ist ihm nicht bange. „Ich habe“, sagt er ganz ruhig, „die Ausläufer des Kalten Krieges in Berlin noch erlebt. Ich weiß, was Ausgrenzung bedeuten kann.“ Mit Ausdauer und Energie will Uwe Döring die Ausgrenzung überwinden, er wird viel Zeit dazu haben, und in der Partei wird er beginnen müssen. Christoph Seils