Zurück unter den Menschen

■ Eigentlich ist Martina Navratilova zurückgetreten, aber der Ehrgeiz hat sie auch beim Mixed-Spielen nicht verlassen

Wimbledon (taz) – Wenn es auf dem Gelände von Wimbledon irgendwo anfängt zu kreischen und zu quieken, dann kann man davon ausgehen, daß entweder Andre Agassi, Greg Rusedski, Boris Becker oder Goran Ivanisevic in der Nähe sind. Oder Martina Navratilova. Die emeritierte Championesse ist nach wie vor die beliebteste Tennisspielerin auf der Anlage an der Church Road, und als sie endlich ihren heiß ersehnten Auftritt auf dem Centre Court hatte, wurde sie mit einer langen Ovation begrüßt.

Dabei war es gar nicht so leicht, die Turnierteilnahme der frischgebackenen Fernsehkommentatorin zu ermöglichen. Ein Mixed mit John McEnroe war wegen dessen TV-Verpflichtungen und vorgeschützter mangelnder Form ebenso geplatzt wie das Doppel mit Steffi Graf, das diese kurzfristig wegen ihrer Rückenprobleme absagte. Ein Start an der Seite von irgendwem kam für die 38jährige nie in Frage, denn Martina Navratilova hat nichts von ihrem Ehrgeiz eingebüßt, und wenn sie antritt, will sie auch gewinnen. Zwei Wimbledon-Titel fehlen ihr nur noch, um die 20 Siege der Rekordhalterin Billie Jean King einzuholen. Schließlich fand sie mit Jonathan Stark einen guten Doppelspieler als Partner, dem Start im Mixed stand nichts mehr im Wege.

Vorbereitet hatte sie sich sehr ernsthaft mit ihrem früheren Coach Mike Estep, was so gut funktionierte, daß sie sogar kurz über einen Einzelstart nachdachte. Der Stachel ihres mißglückten Abschieds im letzten Jahr, als sie das Finale gegen Conchita Martinez verlor, sitzt offensichtlich noch tief. „Ich wünschte, ich hätte diesen Aufschlag gegen Conchita gehabt“, seufzt sie angesichts ihrer wiedergewonnenen Spielkunst, „dann hätte ich Volleys statt Halbvolleys spielen können.“ Vom Einzel nahm sie aber doch lieber Abstand, und vermutlich tat sie gut daran, denn im ersten Mixed gegen Whitlinger-Jones/Lucena hatte sie einige Probleme. Die Volleys waren wacklig, die Returns nicht berauschend und manch ein Fluch rutschte über die Lippen der gebürtigen Tschechoslowakin. Es reichte jedoch zu einem Zwei- Satz-Erfolg, und je länger das Match dauerte, desto mehr schien sich Martina Navratilova in ihrem Element zu fühlen.

Am Ende wirkte sie auf jeden Fall erheblich entspannter als bei ihrem Auftritt am Abend zuvor in „Gaytime-TV“, dem ersten Magazin des britischen Fernsehens für Schwule und Lesben. Da war ihr eine Art englische Hella von Sinnen mit Fragen über Liebesleben („Ich bin Single“) und Unterwäsche derart penetrant auf die Pelle gerückt, daß der in diesen Dingen eher reservierten Navratilova das Lächeln zusehends zum eisigen Grinsen gefror.

Auch wenn ihr die Arbeit beim TV-Sender HBO inzwischen „eine Menge Spaß“ bereitet und ihre Kriminalromane die Bestsellerlisten erklimmen, in Wimbledon wird deutlich, daß die Welt der Martina Navratilova nach wie vor der Tennisplatz ist. „Ich habe mich wieder der menschlichen Rasse angeschlossen“, sagt Chris Evert über das Ende ihrer Tenniskarriere. Für ihre alte Rivalin hingegen ist das hervorstechende Kennzeichen eines Mitglieds der menschlichen Rasse immer noch, daß es einen Schläger in der Hand hält. Ihren Wimbledon-Rekord kann Billie Jean King jedenfalls schon mal abschreiben. Matti Lieske