Ob es das war, weiß kein Mensch

■ Im Schatten von Melanie Paschke kann die 400m-Meisterin Silke Knoll in Bremen erfreut feststellen: „Ich bin schnell“

Bremen (taz) – Übermäßigen Jubel, wie er entsteht, wenn die Masse der Beobachter und die Klasse des Beobachteten sich potenzieren, hat man in Bremen nicht vernehmen können. Und so hat bei angenehmen klimatischen Verhältnissen auch keiner im Weser- Freibad direkt hinter der Haupttribüne wegen plötzlich herüberdringenden Jubelorkans seine Freizeitentscheidung überdenken müssen. Doch warm ist der Applaus gewesen, richtig fröhlich, etwa als Silke Knoll (28) bereits nach der ersten Kurve den Rest der 400m-Läuferinnen zum solchen gemacht hatte. Bei 50,86 Sek. hat die Uhr gehalten, das ist nichts Sensationelles, doch DLV-Jahresbestzeit, und dem Insiderpublikum eine jener Leistungen, die andeuten, daß etwas von den deutschen Leichtathletinnen bei der WM in Göteborg auch über die bekannten Stärken in den Wurf- und Sprungdisziplinen hinaus zu erwarten ist, was dem Leistungschef Frank Hensel Stellenbeschreibung und Programm ist: Leistung.

Melanie Paschke (25) ist über die 100m (11,04sec) vorneweggerannt, andere haben in ihrem Sog 11,30er-Zeiten abgeliefert, kommt noch Silke Knoll dazu, hat frau eine Staffel. Aber was ist schon eine Staffel? Die gibt immerhin Auskunft, ob die Leistung Produkt eines Einzelfalls ist, oder ob Leistungsdichte da ist. Nun sieht es mit den Männern gar nicht gut aus, bei den Frauen ist alles klar, beide werden gemeldet, und „ich“, sagt Silke Knoll, „will in beiden laufen.“ Die Dortmunderin (mit dem Klub auch 4x100m-Meisterin) ist eine veritable Staffel-Expertin, begann 1985 als Junioren-Europameisterin über 4x400m und ereichte im vergangenen Jahr einen Höhepunkt mit dem EM-Titel über 4x100m. Der kam, milde gesagt, sehr überraschend und wurde möglich durch intensives Üben im letzten EM-Vorbereitungscamp. Soll diesmal wieder so laufen, zwei Wochen geht es in Klausur, da werden Wechsel geübt. Vorsicht ist angesagt, die sich nicht besonders schätzenden Frauen Paschke und Knoll gilt es sorgfältig zu positionieren. Wie? Mit Knoll, der Fachfrau für die Kurve, an dritter Stelle, „das steht relativ fest“, der Rest wird sich finden.

Und dann sind da noch die 4x400m, die der einzige Grund waren, sagt Knoll, warum sie in Bremen doppelt so weit wie üblich lief. Keinesfalls, weil die Vorjahresmeisterin Paschke erneut für die 200m gemeldet hatte. Mit den 22,45 Sek. von Lille hatte Silke Knoll die WM-Qualifikation schon geschafft, nun neulich nur mal ausprobiert und mit respektablen 51,54 Sek. überraschenden Auftrieb für die längere Strecke bekommen. Sie wollte zwischen 23 und 23,5 Sekunden anlaufen, brachte 23,2 Sek., was sie als „optimal“ empfand. „Ich könnte schneller“, sagt sie, „aber dann käme ich nicht mehr an.“

So steht sie nun also plötzlich vor der Frage, ob die international ausgedünnten 400m nicht vielleicht mehr Sinn machen als die mit Weltklassekonkurrenz üppig ausgestatteten 200m, über die der eher nicht großen (1,63m), doch als extrem ehrgeizig bekannten Sprinterin ein wirklicher Erfolg noch nicht gelungen ist. WM-Halbfinale Tokio, Olympia-Halbfinale, WM- Halbfinale Stuttgart, EM-Fünfte 1990 und im vergangenen Jahr als Medaillen-Kandidatin Vierte in Helsinki. „Im Prinzip die 200m“, ist dennoch bisher noch ihre Meinung, zum einen, weil das „die liebste Strecke ist“, zum anderen, weil ihr die persönliche Bestzeit (22,45sec) von Lille Mut gemacht hat. Erst allerdings wird sie wegen der 400m Rücksprache mit den Trainern halten, unsicher, ob sie „den Wettbewerb in Göteborg durchhalten“ würde, der zu drei schweren Stadionrunden sich addieren wird.

Weil der Schatten der Vorzeigefrau Paschke zwar noch nicht jene Ausmaße erreicht hat, den der der Vorgängerin Krabbe zu werfen pflegte, aber doch bereits erfreulich beträchtlich ist, wird für Silke Knolls weiteres Wirken mutmaßlich Platz zwei bleiben. Die Braunschweiger Studentin hat ihre Bestzeit von Lille (11,08sec) nun noch mal um vier Hundertstel drücken können, und in diesem Bereich, sagt ihr Trainer Joachim Thomas, „ist jedes Hundertstel ein großer Sprung“. Den Rekord von Marlies Göhr (10,81sec) wird sie nie erreichen, doch genau deshalb wird sie schließlich vom DLV als Protagonistin der neuen Leichtathletik vorgezeigt. Silke Knoll hat in dieser schönen neuen Zukunftsplanung kaum Platz, selbst wenn jener Schatten, den der Trainer Spilker vor ein paar Jahren auch über sie geworfen hatte, nicht mehr nachweisbar sein sollte. Jedenfalls ist da eine Athletin, die im fortgeschrittenen Laufbahnstadium mit den Besten mitkommt, und das, obwohl sie bereits im zweiten Jahr die Berufsausbildung zur Werbekauffrau favorisiert und die wöchentlichen Trainingseinheiten (von zehn auf fünf bis sechs) reduziert hat.

Kurz vor Bremen hat sie angefangen, in die üblichen Tempoläufe bis 300m auch welche einzustreuen, die ein- bis zweihundert Meter länger sind. „Ob es das war, weiß kein Mensch“, sagt Silke Knoll, „aber ich bin schnell.“ pu