Irgendwie locker und volle Kiste drauf!

Strahlend wähnt Dieter Baumann das zuvor verschwommene WM-Ziel plötzlich wieder in Sicht  ■ Aus Bremen Peter Unfried

Es ist ein Bild, das für sich spricht. Da sitzen auf dem Podium drei junge Männer, zwei links am Rand sind dunkelhaarig und sehen, sagen wir, ansprechend interessant aus. Und dann ist da ein Blonder von, nun ja, eher vagem Äußeren. Doch während die Dunklen so ein bißchen nachdenklich vor sich hingucken, nimmt das Lächeln des Blonden ungelogen den ganzen Raum ein. Dieter Baumann (30) strahlt, und irgendwie ist dieses Strahlen, obwohl er nix dafür kann, verdrängend. Vergessen Jens-Peter Herold (29), der Berliner Europameister von 1990, vergessen auch Rüdiger Stenzel (27), der Wattenscheider Primus der deutschen 1.500m-Läufer. Baumann ist nach einigen Wochen der Ungewißheit gekommen und hat neben den 5.000m die nächst kürzere Strecke eigentlich nur zum Testen laufen wollen, um „schnell zu laufen“, um „Wettkämpfe zu bekommen“. Und dann war wieder einmal Bemerkenswertes geschehen, war der Olympiasieger allen Zwängen zum Trotz einfach losgerannt, hatte dem Lustprinzip nachgegeben, als sei dies sein erstes Rennen. Die erste Runde dauerte für ihn gerade 55 Sekunden, viel zu schnell, er hatte sich einholen lassen müssen, um dann im Spurt doch noch um Millimeter an Stenzel (3:40,02 zu 3:40,04min) vorbeizuziehen. Das alles, was er sich wieder einmal geleistet hat, und daß das auch noch klappte, hat Baumann strahlen lassen. „Ich hab' mich durchgesetzt“, hat er gesagt, „und das ist unheimlich wichtig.“

Viel wichtiger als auf der Spezialstrecke, wo national die Gegner fehlen und die Standortbestimmung demnach etwas vager bleiben muß. Über 1.5000m gibt es Stenzel, den Europacup-Sieger, der, wie Baumann beobachten konnte, im Vorlauf noch versucht hatte zu „demonstrieren: Ich bin der Herr im Haus“. Aber, sagt Baumann, „entschieden wird's im Endlauf“, und dann war es eben doch Baumanns Haus.

Kampf, Dagegenhalten, Ränkeschmieden, darin ist Baumann zwar geübt, doch nicht in diesem Jahr, das für den Olympiasieger sehr durchwachsen verlaufen ist. Der Körper ist in der späten Hochleistungsphase anfällig, die Achillessehne störte lange den Saisonaufbau. „Es ist ein ständiges Gucken, was man tun kann“, hat Baumann über die letzten Monate gesagt, jeder Morgen beginne mit neuer Anspannung: „Au, jetzt tut's weh“ oder „Au, jetzt geht's“. Dann kam der 11. Platz von St. Denis, später noch eine Erkältung, die ihn aufs Bett warf. Drei Tage nur. Doch dabei ging das Nürnberger Meeting drauf, der Europacup, beides fest in den Saisonaufbau eingeplant. Und: „Wenn's einem schlecht geht, hauen dir die anderen auch noch einen drauf.“ Die Afrikaner nämlich, die in der Zwischenzeit über 5000m neue Fabelzeiten gelaufen sind, von denen die Bestzeit des Olympiasiegers (13,09;08min) mittlerweile 20 Sekunden entfernt ist.

Insgesamt hat Baumann erst die Hälfte üblichen Trainingsumfangs hinter sich und fühlt sich doch so schlecht nicht. Seit drei Wochen läuft es plötzlich, da hatte er Nürnberg grade abgesagt, sich ins Bett begeben und „plötzlich gewußt, daß das die richtige Entschediung war“. Als er, der sowieso der Kraft durch Pause huldigt, dem Krankenlager wieder entstiegen war, registrierte erfreut, „die Sehne zwickt nicht mehr“, und hat seither auch die Freude am täglichen Laufen zurück, die ihm vorher abgegangen war.

Um den Rückstand aufzuholen, probiert er es derzeit „mehr mit Tempoläufen“, also Betonung der Qualität statt Kilometermachen. Jetzt geht es nach St. Moritz, den Blutkörperchen zuliebe, dann „aus der Höhe heraus“, nach Oslo und dort, wo er am 21. Juli zwar über 3.000m, doch erstmals auf die Allerbesten treffen wird, „wäre es optimal, wenn ich eine gute Zeit liefe“, oder noch besser, „mich vielleicht sogar durchsetzen könnte“.

Soll keiner glauben, bei all dem diebischen Spaß, den es Baumann bereitet, den Zusehern und Konkurrenten mit dem, was er „volle Kiste loslegen“ nennt, zu verblüffen, der Mann wisse nicht, was er tue. Und soll bloß keiner glauben, dem öffentlichen Strahlen werde nicht in den nächsten Wochen, erkannt und therapiert allein von Trainerin Isabelle Baumann, häufige und große Phasen des Haderns, Zitterns und Selbstzweifelns folgen. Egal, wie schnell Baumann noch wird, die anderen sind eigentlich schneller. Die Taktik für die WM in Göteborg sieht demnach aus wie stets. Das Vorneweglaufen den anderen überlassen, und die eigenen Stärken, das Strahlen, das die Gegner mürbe macht, zur Geltung bringen, und den Sprint. Nur dafür hat er die ganze Bremer Chose inszeniert, um demnächst „mit so müden Beinene auf der Zielgeraden noch so zuzulegen können wie heute“. Doch damit es soweit kommen kann, muß er die Gegner dazu bringen, vor Furcht zu erstarren. „Die nicht so Erfahrenen“, das hat Hochspringerin Alina Astafei im Zusammenhang mit Heike Henkel beobachtet, „haben weiche Knie, wenn Heike dabei ist.“ So soll es auch Baumanns Gegnern gehen, wenn er sie in Göteborg beim Aufwärmen prüfend anstrahlen wird.

Isabelle und Dieter Baumann sind im übrigen bekanntlich in der prägebärenden Phase. Die Zeit, sagt der Philosoph, der sich bei seinen täglichen Stunden im Wald immer wieder mit deren Konsistenz beschäftigt, „vergeht, des isch a Wahnsinn“. In fünf Wochen muß er sich zum WM-Vorlauf in Göteborg einfinden. Vielleicht, sagt er, „sind wir bis dahin ja schon zu dritt“. Die Familienplanung verläuft im Moment nach Fahrplan und der Göteborg-Countdown plötzlich auch wieder. „Eine Zeitlang hatte ich das Gefühl, ich komme nicht hin“, hat er berichtet, „doch jetzt glaube ich, ich komme hin.“ Obacht! „Ich fühle mich“, sagt Dieter Baumann ziemlich strahlend, „irgendwie locker.“