Schwierige Verhältnisse

■ David Schütz' erzählerischer Essay über deutsch-israelische Befindlichkeiten

Sein Geburtshaus stand in der Kastanienallee am Prenzlauer Berg. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde er in Marseille in eines jener Schiffe verfrachtet, die überlebende Diaspora-Juden nach Israel brachten: aus einem gerade überstandenen Weltkrieg hinein in den Territorialkrieg zwischen der jungen israelischen Nation und den arabischen „Nachbarn“. Auf dem Schiff wechselte er den Namen (aus Dietmar wurde David), in seiner neuen Heimat waren zu diesem Zeitpunkt in wenigen Monaten 6.000 israelische Zivilisten und Soldaten ums Leben gekommen.

Das war 1948. Heute, da David Schütz Stationen seines Lebens Revue passieren läßt, ist auch in der Schilderung seiner Ankunft in Israel Distanz zu spüren. Vor allem wenn es um die eigenen unangenehmen Gefühle angesichts des zionistischen Ethos der israelischen Gründerjahre und um das schwierige Verhältnis Israels zu den Arabern geht. „Ein Volk, das gezwungen gewesen war, seinen Platz in Europa zu verlassen, brachte große Probleme über ein anderes Volk“, schreibt er. Wenn er von seiner ersten Zeit in Israel berichtet, geht es immer wieder auch um die bis heute wirkenden tiefen Verwerfungen zwischen den in Israel Geborenen und den eingewanderten Diaspora-Juden. Auf der einen Seite stand die zionistische Revolution als Wille zur „Landarbeit und zum bewaffneten Kampf“, auf der anderen Seite das tiefe Mißtrauen gegenüber den Shoa-Überlebenden. Es vertrug sich nicht mit dem Selbstverständnis des jungen Israel, daß so viele Juden scheinbar „freiwillig“ in den Tod gegangen waren. „Der Holocaust bedeutet alles, was negativ besetzt ist. Er war ein riesiges Grabmal der Schwäche der Juden in der Diaspora.“

In seinem neuen Buch enfaltet David Schütz in kleinen Episoden ein Mosaikwerk der Erinnerung, hat anders als vor zwei Jahren in „Gras und Sand“ keinen Roman, keine Familienchronik geschrieben. „Das Herz der Wassermelone“ ist ein erzählerischer Essay über israelisch-deutsche Befindlichkeiten, das schwierige Verhältnis. Schütz läßt Situationen Revue passieren, die sein Leben prägten und ihn verwunderten – wie Mitte der 60er Jahre, als er zum ersten Mal per Anhalter durch Deutschland fuhr und ein Jurastudent sich als Jungnationaler entpuppte.

Hinter der Verwunderung verbirgt sich jedoch auch eine Spur Bitterkeit. „Gras und Sand“ jedenfalls beginnt mit dem Satz: „Schlimm war es, nach Hause zurückzukehren.“ Damit ist Jerusalem gemeint, wo David Schütz lebt und als Dokumentarfilmproduzent arbeitet. Mit Deutschland verbindet ihn nicht nur die frühe Jugend, sondern auch sein Studium in München und Heidelberg. Kommt die Sprache auf einen versteckten deutschen Antisemitismus, bleibt er verhältnismäßig entspannt. Wenn es aber um den in seinen Augen unreflektierten Pazifismus friedensbewegter Deutscher geht, wird er empfindlich. Er hat in Israel täglich die Notwendigkeit zur Verteidigungsbereitschaft vor Augen, und es scheint ihn zu ärgern, daß er in Gesprächen mit Deutschen immer wieder auf blankes Unverständnis für die besondere Lage Israels stößt.

Dieses Motiv durchzieht das „Herz der Wassermelone“ wie ein rotes Band. Immer wieder kommt er auf jene Deutschen zu sprechen, die sich mit glänzenden Augen daran ergötzen, daß die Araber anscheinend dumm sind und von Israel ins Meer getrieben werden. Auf der anderen Seite stehen jene Friedensbewegten, die selbst dann noch von einer überzogenen Reaktion gegen Saddam Hussein sprechen, wenn dessen Scud-Raketen bereits in Tel Aviv einschlagen. Zum ersten Mal stieß Schütz Ende der 60er Jahre auf diesen Typus, als er in seiner Münchner WG mit einem K-Gruppen-Dogmatiker eine Nacht lang diskutierte.

Lothar Baier hat in einem offenen Brief – anstelle einer Rezension – jetzt in der Süddeutschen genau auf diesen Punkt reagiert – und dabei mehr oder weniger repetiert, was Schütz beschreibt. „Etwas stört mich jedoch an Deiner Darstellung dieses Nichtverstehens“, schreibt Baier, „es ist ihr Schematismus. Wenn ich in Deinem Buch lese, habe ich das Gefühl, Du bist ausnahmslos auf reichlich begriffsstutzige Zeitgenossen gestoßen, die in ein schon vorher fertiges Schema des Nichtverstehens passen.“ Schütz habe völlig außer acht gelassen, daß es in Deutschland durchaus Zeitgenossen gibt, die kritisch über Deutschland nachdenken und gleichzeitig die komplexe israelische Realität verstehen. Aber Schütz geht es um etwas völlig anderes: Er konfrontiert kommentarlos die extrem unterschiedlichen Erfahrungswelten und zeigt die notwendige israelische Verteidigungsbereitschaft mit der Folge, daß Auswüchse in der Militarisierung der Gesellschaft tabuisiert werden; auf der anderen Seite steht Deutschland mit seiner jahrzehntelang nur behaupteten Verteidigungsnotwendigkeit, in dem ein wohlfeiler Pazifismus gedeihen konnte und heute wieder gefordert wird, die wiedervereinigte Nation müsse geostrategisch ein Rolle spielen.

Sein vorläufig letztes Erlebnis mit der besonderen deutschen Art hatte David Schütz vor zwei Jahren, als er leitenden Angestellten einer norddeutschen Firma Rede und Antwort stand. Warum sich seiner Ansicht nach die ganze Welt über eine paar kahlgeschorene Unruhestifter in Deutschland aufrege, wurde er gefragt. Und ob er die israelische Politik rechtfertigen könne, 415 palästinensische „Freiheitskämpfer“ ins Niemandsland zwischen Israel und den Libanon zu verbannen. Und ob es nicht doch einen Grund haben müsse, daß in der ganzen Welt solch ein Haß gegen Juden existiere. Schütz' lakonische Schlußbemerkung: „Ob ich die Kahlgeschorenen wohl an den richtigen Orten gesucht hatte?“ Jürgen Berger

David Schütz: „Das Herz der Wassermelone“. Mit einem Nachwort von Wolf Biermann. Claassen Verlag, 1995, 260 Seiten, 36 DM.