Tiefseefischkonserve

■ Der Streik beim französischen Fernsehen endete am Wochenende mit einem Trostpflaster für die Gewerkschaften

Was würde der Samstag bringen: Tour de France oder Extratour der Fernsehtechniker? Diese bange Frage raubte den französischen Liebhabern pedaltretender Männerwaden den Schlaf. Der Streik im öffentlichen Rundfunk drohte alle Räder zum Stillstand zu bringen – selbst die der Tour de France.

Nur wenige Stunden vor Beginn der auf France 2 angekündigten Direktübertragung aus Saint- Brieuc in der Bretagne ließen sich die Gewerkschaftler mit einem Jahresprämien-Butterbrot über den Verhandlungstisch ziehen und unterschrieben zähneknirschend. Ob die ihnen zugestandenen 1.400 Francs (rund 400 Mark) mehr sind als eine Beruhigungspille, darf bezweifelt werden. Denn die eigentliche Ursache des Konflikts, der seit Monaten schwelende Streit um den Rahmentarifvertrag für den öffentlichen Rundfunk Frankreichs, wird auch weiter für Unruhe in den Fernseh- und Radio- Studios im Pariser Maison de la Radio sorgen.

Sechzig Prozent blieben zu Hause

Zum allabendlichen Nachrichten- Stelldichein bei France hatten sich in der vergangenen Woche seltsame Gäste eingefunden. Anstelle der gewohnten Moderatoren grüßten der wie immer rotbemützte Tiefseeforscher Jacques-Yves Cousteau und sein animalischer Anhang von Flußpferden und Walrössern. Die Streikmaschinerie der Gewerkschafts-Front aus CFDT (sozialistisch), CGT (kommunistisch) und FO (regenbogenbunt) lief auf Hochtouren. Alle zogen sie – in Frankreich keineswegs eine Selbstverständlichkeit – am selben Strang, über sechzig Prozent der Techniker blieben zu Hause. Das reichte, um den meisten öffentlich-rechtlichen Sendungen den Saft abzudrehen.

Ausgesprochen hoch war die Streikdisziplin bei den Regionalprogrammen von France 3. Hier schneite es tagelang auf dem Bildschirm, während die Journalisten weiterhin ihre Beiträge produzierten. „Virtuelle Nachrichtensendungen“ nannte das Chefredakteur Pierre Babey. Notprogramme schickte auch der französische Auslandssender Radio France International in den Äther. Seine deutschsprachige Redaktion beispielsweise bekam von den streikenden Technikern gerade einmal ein Nachrichtenfenster von zehn Minunten Dauer zur Verfügung gestellt. Für die restlichen 50 Minuten der jeweiligen Sendestunde in deutscher Sprache stellte die Technik dann kurzerhand auf Musikkonserve.

Die Forderungen der Gewerkschaften waren eindeutig: vier Prozent mehr in der Lohntüte. Nachvollziehbar, wenn man bedenkt, daß sich die Gehaltssteigerung 1993 auf zwei Prozent, 1994 auf ein Prozent belief – weit unter der Inflationsrate. Als Anfang des Jahres das Arbeitgeberkollegium eine Gehaltserhöhung von 1,5 Prozent vorschlug, riß den Gewerkschaften der Geduldsfaden. Doch dann verzögerten die Zersplitterung der Arbeitnehmervertreter sowie Präsidentschafts- und Kommunalwahlen immer wieder den Streikbeginn.

Gelohnt hat sich das Abwarten jedenfalls nicht. Aus den 1,5 Prozent sind 1,7 Prozent geworden – und das auch nur als mündliche Zusage. Schriftlich mochten sich die Arbeitgeber auf gar keinen gemeinsamen Lohnzuschlag festlegen lassen. Damit die Gewerkschaften wenigstens ihr Gesicht wahren konnten, verdoppelten sie allerdings großzügig ihr ursprüngliches Angebot einer Einmalzahlung auf umgerechnet 400 Mark. 33 Mark pro Monat – brutto, versteht sich.

Mit einer anderen Forderung war man noch weniger erfolgreich. Erklärtes Ziel des Arbeitskampfes war es nämlich, zu verhindern, daß durch die Auslagerung von Produktionen der für die öffentlichen Rundfunkanstalten verbindliche Rahmentarifvertrag schrittweise ausgehebelt wird. Die Pläne ähneln denen, die in Deutschland gerade die Kommission für die Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten den Öffentlich-Rechtlichen ans Herz gelegt hat, um Kosten zu sparen (siehe taz vom Samstag).

In Frankreich möchte die Société Française de Production (SFP) eine ihrer Abteilungen an Télédiffusion de France (TDF), eine Tochtergesellschaft der französischen Telecom, verkaufen. Sollte diese tatsächlich die Post production für die SFP übernehmen, dann würde genau der Fall eintreten, den die Gewerkschaften fürchten: Sie verstehen die Filialisierung – und sei sie auch scheibchenweise vorgenommen – als Vorgriff auf die anstehende SFP- Privatisierung und als Schleichweg aus dem Rahmentarifvertrag für die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten. Mit dem Streik wollten sich die Gewerkschaften also auch dafür auf die Hinterbeine stellen, daß der Tarifvertrag auch künftig für alle bisherigen SFP- Angestellten seine Gültigkeit behält.

Keine Garantien gegen Auslagerung

Aus den lauthals eingeforderten schriftlichen Garantien hierfür wurde jedoch nichts. Kurz vor dem Wochenende der Tour de France ging es für die Gewerkschaften aber nur noch um Schadensbegrenzung. Allen war klar, daß mit Beginn der Sommerferien die Streikfront im Nu zerbröckeln würde; für die Arbeitgeber ein leichtes Spiel. Letztere zeigten sich generös mit der Einwilligung, sechs der acht Streiktage zu bezahlen.

Die nächste Streikwelle ist bereits vorprogrammiert. „Es ist illusorisch zu glauben, daß sich die ungelösten Probleme von selbst erledigen“, warnen die beiden mitgliederstärksten Gewerkschaften – CFDT und FO – in einer gemeinsamen Verlautbarung das Arbeitgeberkollegium und die Aufsichtsministerien. Man kann also darauf wetten, daß mit den Ende der in Frankreich allheiligen Sommerferien die Forderungen wieder aufs Tapet gebracht werden. Cousteau darf sich auf den September freuen. Hans von der Brelie, Paris