Wahre Anpassungskünstlerinnen

Sie haben viele Feinde und leben in einem Frauenstaat: Hummeln. Auf einem Versuchsgelände observieren WissenschaftlerInnen die Insekten – und werden selbst „ein bißchen zu Hummeln“  ■ Aus Kassel Heide Platen

Sie summt und brummt, erst dunkel, dann zornig laut mit schrillem Oberton. Die Hummelkönigin ist an einem frühen, kühlen Frühlingsmorgen auf der Suche nach einer Behausung gewesen, hat verfilzte Grasbüschel, Laub- und Reisighaufen, Spalten in Baumwurzeln, ein Mäusenest geprüft. Und jetzt ist sie in einem schattigen Hinterhof am Rande der Frankfurter Innenstadt gefangen.

Die Plastikplane, die den Bollerwagen des Kinderladens bedeckt, bis wärmere Zeiten kommen, ist zur Falle geworden. Die Kraft der großen Hummel und ihr rasantes Flugtempo steigern sich, während sie von innen unermüdlich gegen die Wände ihres Gefängnisses dotzt. Endlich befreit, schießt sie heraus wie eine runde, pelzig schwarz-orange Kanonenkugel. Die Steinhummel (Bombus lapidarius) ist dann den Sommer über im Hinterhof geblieben, denn unter Kirschbaum und Kastanie blühen Blaustern, rote und gelbe Taubnesseln, Zierjohannisbeere, Kriechender Günsel, Maiglöckchen, Schwertlilien und Salomonsiegel.

In einem Mauseloch hat sie ihr Nest gepolstert, einen Honigtopf gefüllt, Eier in die Gemeinschaftsbrutzelle gelegt und die erste Generation Larven und Puppen innerhalb von drei Wochen zu ernährungsbedingt sehr kleinen Arbeiterinnen herangezogen. Mit üppigerer Blüte und mit Hilfe der ersten Arbeiterinnen gediehen die nächsten Generationen größer und kräftiger, die Arbeitsteilung begann, die Königin verbrachte mehr Zeit im Bau, legte mehr Eier. Wächterinnen, Pollen- und Nektarsammlerinnen, Hausarbeiterinnen und Brutpflegerinnen wechselten sich nach Bedarf im Dienst ab.

Das Volk kann es sich dann auf der Höhe des Sommers oder zum Herbstbeginn leisten, auch Drohnen und neue Königinnen heranzuziehen. Die jungen Weibchen helfen bei der Versorgung des Nestes mit, ehe sie es verlassen. Die alte Königin und die Arbeiterinnen sterben im Herbst. Nur die Jungköniginnen überleben den Winter, eingegraben in der Erde. Im nächsten Jahr ist eine Tochter der vorjährigen Königin wieder in den Hinterhof gekommen und hat das Erdloch neu bezogen.

Ortsausgang Naumburg, am südlichen Rand des Habichtswaldes bei Kassel. Ein Schild weist auf die „Hummelwerkstatt“ hin. Das Versuchsgelände der Gesamthochschule Kassel grünt und blüht. Ihr Aufbau fand in Naumburg große Unterstützung und reiht sich in das städtische Konzept „Raum für Natur“ ein, zu dem Lehrpfade, Streuobstwiesen, Fledermauskästen, Kräuter- und Blumengärten gehören. Die Leiterin, Claudia Thöne, zeigt BesucherInnen die 60 Beete mit „Hummelpflanzen“, führt Schulklassen, berät Gartenbesitzer. Die „Hummelwerkstatt“ dient außerdem den StudentInnen zur Forschung.

Günther Witte, Biologieprofessor und Projektleiter, versteht sich, auch ein wenig herausfordernd gegenüber den Kollegen am Schreibtisch, als „richtiger Feld-, Wald- und Wiesenbiologe“. Gehüllt in ein grünes Cape, zeigt er die kräftige Schönheit der Hummeln unter dem Mikroskop, führt Nisthilfen vor, sieht nach dem Nistkasten einer Steinhummel in der Gartenecke. Er „schwirrt“ immer irgendwo rum. „Wir werden hier alle ein bißchen zu Hummeln“, sagt Claudia Thöne. Währenddessen erklärt Witte den BesucherInnen, was ihm wichtig ist: „Die Gärten der Menschen sollen hinterher, wenn sie dies gesehen und nachgedacht haben, ein bißchen anders aussehen.“ Und: „Es ist wichtig, daß Kinder lernen können, vernetzt zu denken.“

Der Weg vom schaudernden „I gitt“ zu „Hummeln sind aber süß“ führt in der Hummelwerkstatt über Sehen, Fühlen, Riechen und Schmecken. Nein, Hummeln stinken nicht, sondern ihre Nester duften nach Wachs und Honig. Mit etwas Geschick und Vorsicht können sie angefaßt werden, sind weich und pelzig. Hummelhonig schmeckt, so auch der Zoologe Bernd Heinrich in seinem Buch „Der Hummelstaat“ begeistert, „köstlich ... Besser als jeder Honig von Honigbienen“.

Der Hummelstaat ist, so Claudia Thöne, „ein reiner Frauenstaat“. Sie erinnert sich an die indignierte Frage eines Pädagogen, ob das denn „nicht furchtbar langweilig“ sei. Vielleicht hat es den Mann getröstet, daß die großäugigen Drohnen mancher Art von mehreren Weibchen zur Begattung erkoren werden. Die Männchen der Gebirgshummel Bombus mendax dagegen beduften ihr kleines Territorium und warten einfach ab. Sie stürzen sich dann auf alles, was ihr Revier durchfliegt, auch auf Blätter und Steine.

Ein Lehrsatz des Hummelzentrums lautet: „Hummeln sind Bienen“. Sie kommen allerdings vor allem auf der nördlichen Erdhälfte vor, denn sie sind exzellente Energiesparer und haben ein körpereigenes Wärmeaustauschsystem entwickelt, das ihnen erlaubt, sich mit den Flugmuskeln im Brustkorb durch Muskelzittern aufzuheizen. Um Überhitzung zu vermeiden, können sie die Körperwärme über eine Leitung durch den kühl bleibenden Unterleib wieder abgeben. Die Königin wärmt ihre erste Brut wie ein Vogel. Bombus lapidarus isoliert das Nest, wie andere unterirdisch nistende Hummeln, außerdem mit wächsernen Hauben, die durch Öffnungen belüftet werden.

Keine Bohnen, keine Erbsen, Tomaten ohne Hummeln. Rittersporn und Eisenhut, Schwertlilien und Rotklee, eben alles, was für eine Honigbiene zu kompliziert ist, wird von den schwereren Hummeln bestäubt. Jede Hummel sammelt individuell, benachrichtigt also die Stockgefährtinnen nicht durch einen Bienentanz von Nahrungsquellen. Pollen und Nektar werden in getrennten Behältnissen, der Honigblase im Hinterleib und den Pollenkörbchen an den Hinterbeinen, in den Bau getragen. Kurzrüsselige Hummeln beschränken sich allerdings nicht nur auf das, was sie problemlos erreichen können, sondern knacken auch für sie unzugängliche Blütentresore, indem sie sie von der Seite anknabbern. Hummeln legen keine langfristigen Vorräte an.

Hummeln sind wahre Anpassungskünstlerinnen, wählen ihre Pflanzen flexibler als Honigbienen. Sie bleiben einer Sorte nur dann treu, wenn sich die Ausbeute auch lohnt, haben oft eine Ausweichmöglichkeit und wechseln die Pflanzen, wenn die Konkurrenz dort zu groß wird. Sie „errechnen“ also genau die Relation zwischen Ertrag und Flugaufwand.

Daß die Universalgenies unter den Bienen bedroht sind, ist auf den ersten Blick nicht ersichtlich, solange die von Laien schwer zu unterscheidenden Brummer noch überall zu sehen sind. Von den in Deutschland vorkommenden über 30 Arten sind allerdings einige schon sehr selten geworden, die eine oder andere ganz verschwunden. Acht Insektenkundler warnten vor zwei Jahren in einem Aufsatz gemeinsam, daß die Hummeln „zu einem erheblichen und ärgerniserregenden Teil durch durchaus vermeidbare, rücksichtslose Beeinträchtigung der letzten möglichen Refugien in Saum- und Kleinbiotopen der Offenlandschaft“ bedroht seien. Dazu zählen sie moderne Mähgeräte für Böschungen und Feldränder, Mahd zur Unzeit, Pflügen der Feldraine und fordern, diese „Mähgeräte mit ihrer mörderischen Wirkung“ zu verbieten.

In kompliziertere Verästelungen der Hummelforschung führt die Unterscheidung zwischen kurzrüsseligen „pollen-storern“, Topfmachern, und langrüsseligen „pocket-makern“. Die Bezeichnungen beziehen sich darauf, wie die Hummeln die Nahrung für ihre Larven aufbewahren. Pollen-storer bauen dem Nachwuchs aus ausgedienten Kokons und Wachs Futtertöpfe. Die langrüsseligen Pocket-makers formen von der Brutwabe aus erreichbare Wachstaschen, aus denen sich die Larven selbst bedienen.

Das Hummelleben ist kurz, arbeitsintensiv und gefährlich. Hummeln haben viele Feinde. Milben, Wachsmotten, Igel, Mäuse, Dachse und Waschbären können der Kolonie den Garaus machen. Und auch die eigenen Verwandten, die wehrhaften Kuckuckshummeln (Psithyrus), dringen in das Nest ein, töten die Königin oder ziehen als Untermieterinnen ein, fressen die Brut und lassen ihre eigenen Eier und Larven von den okkupierten Arbeiterinnen pflegen. Die Schmarotzerinnen gleichen ihrer Wirtsart oft so sehr, daß ihre Unterscheidung schwer ist. Den Weibchen fehlen allerdings die Pollentransportkörbchen an den Hinterbeinen, denn sie müssen keine Nahrung für ihre Brut herbeischaffen.

„Echte“ Hummeln ihrerseits sind bei der Wohnungssuche so durchsetzungsfähig, daß berichtet wird, sie können mit lautem drohenden Summen, Angriffsflügen und Stichen durchaus eine Maus, einen Vogel oder eine Königin der eigenen oder anderer Spezies aus deren Nestern vertreiben.

Und da ist die alte Kinderfrage: „Können Hummeln stechen?“ Ja, können sie, sagt Claudia Thöne, „aber sie tun es fast nie“. Hummeln können ihren Stachel, den sie nur selten einsetzen, sogar mehrmals benutzen. Vorher warnen sie mit einem ausgestreckten Hinterbein. Wenn eine Hummel sich auf den Rücken wirft, die Beine seitwärts reckt und das Hinterteil aufstellt, heißt das in ihrer Körpersprache, daß sie stechbereit ist. Ihr Gift ist nicht gefährlicher als das einer Honigbiene. Bombus fervidus setzt gegnerische Insekten auf süße Weise außer Gefecht. Sie verklebt sie mit erbrochenem Honig.

Aber Hummeln sind „stechträge“, haben einfach Besseres zu tun. Denn die pummeligen Insekten sind beleibe nicht plump und faul. Witte ist begeistert von ihrer Leistungsfähigkeit. Hummeln steuern täglich sechs- bis zehnmal pro Flug je 400 Blüten an. Sie fliegen schneller und ihr Ertrag ist 200mal größer als der von Honigbienen. Sie beginnen ihren Arbeitstag früher und hören später auf, vertragen kühlere Temperaturen. Ihr Treibstoff ist Zucker, mit dem sie ihren Wärmehaushalt speisen und den pelzig isolierten, schweren und schwerbeladenen Körper wie einen Hubschrauber starten und in der Luft halten. Dabei verbrauchen sie doppelt soviel Energie wie Kolibris. Und sie sind in der Landwirtschaft von großem ökologischem Nutzen.

Die Züchter von belgischen Treibhaustomaten haben sich fast ganz auf Hummeln zur Bestäubung umgestellt, ernten mehr, gleichmäßigere, festere Früchte als bei künstlicher Bestäubung und verzichten dafür auf Insektizide. Auch Paprika, Erdbeeren, Zucchini und Blumen in Saatzuchtbetrieben werden dort und in anderen europäischen Ländern von eigenen oder geleasten Hummelvölkern bestäubt.