■ Das russische Parlament ist in seiner Not zusammengerückt
: Ein Faxgerät von Väterchen Zar

Moskau atmet erleichtert auf, nachdem die Deputierten der Duma dem Kabinett Tschernomyrdin eben jenes Vertrauen zurückerstattet haben, welches sie ihm erst vor knapp zwei Wochen entzogen hatten. Kaum jemand wird den Abgeordneten vorwerfen, daß sie vor Väterchen Zar zu Kreuze gekrochen sind, um sich bis zu den Parlamentswahlen im Dezember ihre Fax- und Xeroxgeräte im Weißen Haus zu sichern – eine technische Basis, wie sie sich auch die große, demokratische Fraktion „Rußlands Wahl“ aus eigenen Mitteln noch nicht leisten kann. In den zehn Tagen Denkpause, die den Parlamentariern seit dem ersten Mißtrauensvotum zur Verfügung standen, ist vielen auch klargeworden, daß Rußland gerade heute nichts weniger gebrauchen kann als einen neuen tödlichen Clinch zwischen Exekutive und Legislative. Der unerwartete Fortschritt bei den russisch-tschetschenischen Friedensverhandlungen in Grosny stellte den Moskauer Politikern plötzlich ein Erfolgserlebnis in Aussicht, für das es sich zusammenzurücken lohnte. Präsident Jelzin schließlich hatte noch kurz vor der Abstimmung Dampf abgelassen und die Minister rausgeschmissen, durch deren Versagen sich Budjonnowsk zur Riesenkatastrophe entwickelt hatte.

Wenn Regierung und Parlament heute jedoch wieder zur Tagesordnung übergehen, so ist dies noch kein Zeichen dafür, daß die Ursachen ihres Konfliktes aus dem Wege geräumt sind. Schließlich war es der Präsident selbst, der grünes Licht für den Krieg in Tschetschenien und den Einsatz von Gewalt in Budjonnowsk gegeben hat. Mit Verteidigungsminister Pawel Gratschow hat Boris Jelzin gerade jene Persönlichkeit im Amt belassen, die mit Menschenverachtung und fachübergreifendem Kommißdenken in den engsten präsidialen Kreis vorgedrungen ist. Den Beweis dafür, daß die Kriegspartei nicht länger im Kreml Hof hält, ist Jelzin dem Volk noch schuldig.

Hat also die Duma ganz umsonst die Backen aufgeblasen? Immerhin schlug das Parlament nicht nur Alarm, sondern brachte ganz leise eine Verfassungsänderung auf den Weg, die ihm künftig Mitsprache bei der Ernennung der Minister einräumen soll, sowie eine Möglichkeit, einzelnen von ihnen das Mißtrauen auszusprechen, ohne gleich die eigene Auflösung zu riskieren. Der nächste Schritt soll ein Gesetz sein, demzufolge die Mitglieder des Föderationsrates nicht mehr vom Präsidenten und seinen Provinzmatadoren ernannt, sondern von den BürgerInnen gewählt werden.

Nicht nur Inkompetenz und mangelnde Erfahrung der Deputierten waren bisher dafür verantwortlich, daß die Duma oft einer Operettenbühne glich, sondern auch die in der Verfassung festgeschriebene Schwäche des Parlaments. In den letzten Schaukämpfen hat es an Kompetenz und Erfahrung gewonnen, um daran etwas zu ändern. Barbara Kerneck