Israels Siedlungen bleiben sichtbar

Die Städte Nablus und Jenin könnten bald von Palästinensern verwaltet werden / Doch die Stimmung ist gedämpft / Unauffällig übernimmt Arafats Fatah die Regentschaft  ■ Von der Westbank Karim El-Gawhary

„Die Leute sind nicht so zufrieden wie wir das erwartet haben“, erklärt Hussam Kader, Mitglied des palästinensischen Nationalrates und Führungsmitglied von Jassir Arafats Fatah im Flüchtlingslager Balata bei der Westbankstadt Nablus. Die Stadt soll als eine der ersten palästinensischen Bevölkerungszentren von der israelischen Armee geräumt werden.

Doch in Nablus herrscht keine Festtagsstimmung. Mit brennenden Autoreifen machen Jugendliche auf den Hungerstreik der palästinensischen Häftlinge in israelischen Gefängnissen aufmerksam „Wir arbeiten auf zwei Ebenen“, erklärt Kader. Vor zehn Tagen wurden Komitees geschaffen, die die Verwaltung übernehmen sollen. Gleichzeitig wird weiter für die Häftlinge mobilisiert.

„Soviel wird sich mit einer palästinensischen Verwaltung in Nablus nicht verändern. Vom Dach aus wird man immer noch die israelischen Siedlungen sehen“, erzählt er. Laut Informationen aus dem israelischen Außenministerium soll sich die israelische Armee in zwei Stadien aus den Bevölkerungszentren der Westbank zurückziehen. Beginnend mit den nördlichen Städten Nablus, Jenin, Tulkaram und Qakilya. Der Rückzug könnte bis November abgeschlossen sein. Die nördlichen Städte gelten als weniger problematisch, da sie nicht in unmittelbarer Nähe von einer der in der Westbank verteilten 130 israelischen Siedlungen liegen. Dann könnten noch vor Jahresende palästinensische Wahlen abgehalten werden.

Übersteht die palästinensische Selbstverwaltung im Norden eine Probezeit, könnte die israelische Armee im kommenden Frühjahr die „problematischen“ Städte Ramallah und Bethlehem räumen. Dabei soll, so die israelische Argumentation, Zeit gewonnen werden, die Siedlungen durch ein eigenes Straßennetz von den palästinensischen Städten zu trennen. „Besonders problematische Städte“ wie Hebron sollen zunächst von einer Autonomieregelung ausgeschlossen bleiben.

Das wenige Kilometer von Nablus entfernte Jenin soll nach den israelischen Plänen ebenfalls im ersten Stadium an die palästinensische Verwaltung übergeben werden. „Wir sind bereit, die Zivil- und Sicherheitsverwaltung der Stadt zu übernehmen“, erklärt Nai'f Switat, Vorsitzender des Komitees, das die Wahlen in Jenin vorbereiten soll. Bereits vor zwei Wochen seien palästinensische Polizeioffiziere aus den autonomen Gebieten in Gaza und Jericho gekommen, um die Sicherheitslage in Jenin auszuloten, erzählt er.

Das örtliche Büro von Arafats PLO-Fraktion Fatah hat sich in eine informelle Stadtverwaltung verwandelt. Der Bürgermeister hat sich in eine Villa am Tiberiassee abgesetzt, die ihm die israelische Regierung geschenkt hat. Die Leute stehen in dem Büro Schlange. In einem nur schwer zugänglichen Zimmer sitzt Walid Abu Imwas, der sich als einer von 15 Kandidaten für die Führung der Stadtverwaltung bewirbt. Fast alle nichtreligiösen politischen Gruppen haben Kandidaten aufgestellt. Mit der islamistischen Hamas wird derzeit noch verhandelt. Die Prioritäten für die neue Stadtverwaltung seien mit allen Fraktionen beschlossen worden, erklärt Imwas. Zunächst müsse die Verwaltung aufgebaut werden, dann die Wasserknappheit angegangen werden. Anschließend solle das Gesundheitswesen und die Müllabfuhr verbessert werden. „Jenin wurde früher die Stadt der Gärten genannt“, erzählt Imwas. Aber die Einwohner mußten auf dem Grund der Gärten bauen, da sie von der israelischen Militärverwaltung keine Baugenehmigungen für den Stadtrand bekamen. Geld ist vorhanden. Die Einwohner schulden der Stadtverwaltung acht Millionen Schekel. Die Zahlung zu verweigern, war ein Teil des Widerstandes gegen die Besatzung. Jetzt, so glaubt Gihad al-Saifi, der gerade als Referendar in einem Anwaltsbüro arbeitet, werde sich das ändern. „Wenn wir gute Dienstleistungen bieten, werden die Leute auch mit der neuen Stadtverwaltung kooperieren.“ Doch auch in Jenin herrscht keine Freudenstimmung. Für den Anwalt Luay Harmasche ist das israelische Angebot, sich aus dem Zentrum der Stadt zurückzuziehen, absurd. Die 35.000 Einwohner zählende Stadt ist Verwaltungs- und Handelszentrum einer gleichnamigen Provinz mit 220.000 Einwohnern. Nach israelischen Vorstellungen wird es in der Stadt eine palästinensische Selbstverwaltung geben. In 65 Dörfern um die Stadt werden die Israelis das Sagen haben. „Ich habe einen Fall von Landkauf aus dem Dorf Anin“, sagt Harmashe. „Jemand hat dort sein Land verkauft und muß es jetzt hier im Jeniner Gericht registrieren. Nach welchem Rechtssystem wird er sein Land nach dem Rückzug verkaufen und welche Behörde ist zuständig, wenn der Vertrag nicht eingehalten wird?“