Abgeordnete verspritzten viel Wasser

Die Gegner der russischen Regierung schaffen es nicht, ihr ein zweites Mal das Mißtrauen auszusprechen / Denn vorher wurde heftig „unter dem Teppich verhandelt“  ■ Aus Moskau Barbara Kerneck

Die Deputierten der Staatsduma sicherten auf einer Sondersitzung am Samstag sich selbst und dem Kabinett Tschernomyrdin das politische Überleben. Ein zweiter Mißtrauensantrag gegen die Regierung scheiterte. Nachdem ein erstes Mißtrauensvotum am 21. Juni nicht durchgegangen war, hatte Ministerpräsident Tschernomyrdin diesmal selbst eine Wiederholung der Abstimmung provoziert. Schon zehn Tage vorher kündigte Präsident Jelzin an, daß er von seinem verfassungsmäßigen Recht Gebrauch machen werden, das Parlament aufzulösen, falls es sich ein zweites Mal gegenüber der Regierung „mißtrauisch“ zeige.

Die bewegte Plenarsitzung am Samstag stand unter dem Zeichen der Entlassung zweier Minister, deren Köpfe die Abgeordneten schon seit längerem gefordert hatten. Erst am Freitag fand Jelzin sich jedoch dazu bereit, Innenminister Jerin und dem stellvertretenden Ministerpräsidenten und Nationalitäten-Minister Jegorow öffentlich den Laufpaß zu geben. Dazu feuerte er gleich noch Geheimdienst-Chef Stepaschin und den Gouveneur des Bezirks Stawropol, Jewgenij Kusnezow. Jerin, Jegorow und Stepaschin sind dafür verantwortlich, daß sich die Geiselnahme im Städtchen Budjonnowsk bei Stawropol in ein Blutbad verwandelte. Auf einer Sitzung des nationalen Sicherheitsrates am Donnerstag hatten sie im Politbürostil dramatisch Selbstkritik geübt und ihren Rücktritt angeboten. Mit ihnen schlug sich dort auch Verteidigungsminister Gratschow an die Brust. Gerade an ihm aber hält Jelzin entgegen der Wünsche der Abgeordnetenmehrheit weiter fest.

Seit Tagen wurde zwischen Regierung, dem Präsidenten und den Fraktionen, wie man in Rußland zu sagen pflegt, „unter dem Teppich“ verhandelt. Dabei gelang es, einige Fraktionen zum Umdenken zu bewegen. An erster Stelle ist hier Jegor Gaidars „Rußlands Wahl“ zu nennen, die mehrheitlich auf Regierungsseite umschwenkte (45 von 54 Mitgliedern), nachdem ihr Vorsitzender bei den vielseitigen Konsultationen eine führende Rolle gespielt hatte. Gaidar zeigte sich zwar unzufrieden, weil Gratschow nicht auf dem Altar der nationalen Eintracht geopfert wurde, aber er blieb zuversichtlich: „Bisher hat der Präsident alles so gemacht, wie er uns versprach.“ Ähnlich urteilten die Frauen Rußlands, auch sie revidierten ihre Haltung und stimmten diesmal mit 20 von 21 Stimmen für das Kabinett. Unerbittlich blieb dagegen die Fraktion Jabloko Grigori Jawlinskis, der nicht einzulenken versprach, bis er auch Gratschow zur Strecke gebracht habe. Die Kommunisten, Agrarier und die Demokratische Partei Rußlands Sergei Glasjews lenkten nicht ein, weil es ihnen in erster Linie um die Sozialpolitik geht. Prinzipiell unversöhnlich zeigten sich Schirinowskis „Liberaldemokraten“. Der ihnen nahestehende Deputierte und skandalbewährte Petersburger Fernsehmoderator Alexander Newsorow machte sich über seine Mitparlamentarier lustig: „Wir sind wie Delphine, die vor den Zuschauern mit ihrem Fett glänzen und dabei viel Wasser verspritzen wollen.“

Auf einen historischen Aspekt der Duma-Entscheidung vom Sonnabend machte der Vorsitzende der Russischen Sozialdemokratischen Union, Lipizki, aufmerksam: „Dies war der erste Fall in diesem Jahrhundert, in dem eine Verfassungskrise in unserem Lande mit zivilisierten Mitteln und ohne Gewaltanwendung geschlichtet wurde.“ Zufrieden strahlte am Ende Ministerpräsident Tschernomyrdin: „Der Konflikt ist gelöst. Ich bin froh, daß die Duma die Kraft für eine solche Entscheidung gefunden hat.“ Auch in personeller Hinsicht kündeten Deputierte eine neue Epoche an. Während das Mißtrauensvotum unterging, stieg am russischen Polithimmel der alles überstrahlende Stern Viktor Tschernomyrdins auf. Vorausschauend kommentierte ein Sprecher des ersten russischen Fernsehprogramms: „Wie Hiob hat er in den letzten Wochen eine schwere Probe nach der anderen überstanden. Sollte es ihm gelingen, das Ende des blutigen Gemetzels in Tschetschenien mit seinem Namen zu verbinden, so könnte er auf nahezu sicheren Sieg hoffen – nicht nur bei den Parlamentswahlen im Dezember, sondern auch bei den Präsidentenwahlen im nächsten Juli.“