Tränen und Jubel bei der Hochzeit

Jammernde Grüne sagen doch noch „ja“ zur Koalition in NRW / Rau von Sozis gefeiert / Bergleute protestieren / Volmer: „Es geht um eine Reformperspektive in Deutschland“  ■ Von Walter Jakobs

Kevelaer/Hagen (taz) – Maren Schüphaus, langjährige Realo- Kämpferin im NRW-Landesverband der Grünen, ist bitter enttäuscht. Der aus dem Rhein-Sieg- Kreis stammende junge Frau laufen die Tränen über die Wangen, während sie ins Mikrofon spricht: „Für diese Koalition stimmt der Preis nicht. Unsere Unterstützung bleibt den Menschen vor Ort. Wir werden den Koalitionsvertrag ablehnen.“

Der „Preis“, von dem hier die Rede ist, wird demnächst in Form einer ICE-Trasse eine große Schneise durch das Naturschutzgebiet „Wahner Heide“ schlagen. Damit soll der Köln/Bonner-Flughafen an das ICE-Netz angebunden werden. Die Zustimmung zu diesem Projekt wertet die grüne Verkehrsexpertin Gisela Nacken als „unsere größte Schlappe“ im rot-grünen Verhandlungspoker. „Ihr habt unserer Identität in dieser Region auf lange Zeit schweren Schaden zugefügt“, beschwert sich ein Delegierter aus der Region über „diesen verdammt schlechten Deal“.

Stunden zuvor war die grüne Verhandlungsdelegation vom Parteitag noch mit stürmischem Applaus gefeiert worden. Doch jetzt, als die Details der 198seitigen Koalitionsvereinbarung auf dem Prüfstand stehen, hagelt es unnachgiebig Kritik. Nur beim Thema Garzweiler II wird das Verhandlungsergebnis weitgehend positiv aufgenommen. Das hängt nicht zuletzt mit einer klugen Parteitagsregie zusammen, die dafür sorgte, daß zwei Frauen aus dem Kreis der Bürgerinitiativen gegen Garzweiler II den Kompromiß am Pult als einen „Strohhalm“ zur Verhinderung des Projekts lobten, „den wir ergreifen müssen“. Als die beiden älteren Damen ihren Beitrag mit „wir danken euch“ beenden, da ist das Balsam auf die grüne Seele, und entsprechend rauschend fällt der Beifall aus.

Daß der nordrhein-westfälische Naturschutzbund die Vereinbarung als „absolut untragbar“ bezeichnet und ein BUND-Sprecher die Formulierung als „windelweich“ geißelt, fällt da nicht mehr ins Gewicht, zumal der Koalitionsvertrag in der Sache mehr bietet als die Naturschutzverbände glauben machen. Als die Delegierten der Grünen dann abstimmten, bewahrheitete sich das, was einer während der Debatte so ausgedrückt hatte: „Eigentlich kann man dieses Papier nicht unterschreiben, aber wir tun es doch.“ Und das mit überwältigender 90-Prozent-Mehrheit.

Ludger Volmer, ehemals linker Sprecher der Bundespartei, spannte am Ende der Debatte den großen Bogen nach Bonn und forderte die Delegierten auf, die „historische Chance“ zu nutzen: Es gehe jetzt „um die Reformperspektive in Deutschland“, und die Frage laute, „ob wir bereit sind, zu springen, wenn gesprungen werden muß“. Und so sprangen sie dann kurz vor Mitternacht, Realos und Linke Hand in Hand, Basisvertreter samt Promis, mit einer Geschlossenheit, die so niemand vorherzusagen gewagt hätte.

Am nächsten Sonntag morgen, beim Parteitag der SPD in Hagen, geht es zunächst wesentlich lauter zu. 4.000 Bergleute machen Radau und fordern ein „Ja zu Garzweiler II ohne Wenn und Aber“. Sichtlich aufgewühlt stellt sich Ministerpräsident Johannes Rau den Demonstranten. Dabei versichert er den Bergleuten, daß die Genehmigung gelte und daß „Garzweiler II kommt“. Aus einigen Kehlen schallt zwar „alles Lüge“ zurück, aber am Ende bekommt Rau sogar Beifall. Neben der Eingangstür steht eine „Parteibuch“-Sammelstelle: Bis zum Mittag werfen 128 Parteimitglieder ein feuerrotes Stück Pappe dort hinein, auf dem es heißt, „steht zu eurem Wort, sonst folgen die Originale postwendend“.

Drinnen bei den Delegierten kommt Rau mit seinem Werben für die Koalition weit besser an. Fast drei Minuten wird ihm nach seiner Rede applaudiert. Als schärfster Widersacher profiliert sich der nicht mehr in den Landtag gewählte frühere Fraktionsvorsitzende Friedhelm Farthmann. Insgesamt, so die Bilanz des Traditions-Sozis, hätte sich die SPD „bei den Überschriften und die Grünen beim Kleingedruckten durchgesetzt“. Weder die verabredete Flughafenpolitik noch den Garzweiler-Kompromiß könne er vertreten. Deshalb werde er dagegen stimmen, denn die SPD „kommt aus dieser Koalition schlechter raus, als sie reingegangen ist“. Rau eilt erneut zum Mikrofon, spricht dem langjährigen Konkurrenten seinen „Respekt“ vor der Haltung aus, „die ich nicht teile“. Der Saal antwortet mit Beifall.