In Halle liegen die Polizeiakten auf der Straße

■ Telex mit vertraulichen Informationen über die Geiselnahme im Jugendknast Zeithain wehte aus dem Altpapiercontainer zur Einsicht für alle auf die Straße

Berlin (taz) – Der Wind trieb es durch die Stadt. Vier Meter lang und voller Details. Ein Telex, adressiert an die Polizeidirektion Halle mit brisantem Inhalt: der detaillierte Lagebericht einer Geiselnahme im Jugendknast Zeithain, datiert vom 28. Mai. Das Papier, das da am vergangenen Donnerstag über den Heilmarkt von Halle wehte, stammte vermutlich aus einem offenen Altpapiercontainer, der vor der Tür der Polizeidirektion stand. Das Hallesche Tageblatt veröffentlichte den Fund.

Vor vier Wochen instruierte die Polizeidirektion Dresden die Kollegen für den Fall, daß der Geiselnehmer sich freipressen und durch Halle flüchten könnte. Indes, zu einer Flucht kam es nicht, die Geiselnahme konnte im Knast beendet werden.

Im Telex schildern Landeskriminalamt und Polizeipräsidium Dresden den Verlauf der Geiselnahme („Täter hält ein Brettstück mit mehreren aufgesetzten Rasierklingen dem Mitgefangenen an den Hals“), es werden Namen, Adressen und Telephonnummern von Kriminalbeamten der Mordkommission weitergegeben. Auch die Namen und Adressen der Eltern des Täters und seiner Geisel werden genannt, seine Straftaten und die der Mitgefangenen aufgelistet. Unter dem Vermerk „Vs – nur für den Dienstgebrauch“ berichten die Dresdener über die eingeleiteten „Maßnahmen“ der Polizei in Sachsen und Sachsen-Anhalt.

Von den frei umherfliegenden Akten erfuhr die Polizei in Halle am Wochenende aus der Zeitung. Der Container, in dem weitere Akten lagen, wurde sichergestellt. Polizeisprecher Thomas Eichner verweigerte gestern gegenüber der taz eine Stellungnahme. Derzeit werde gegen Unbekannt ermittelt. Es heißt, daß die Polizei nicht nur in den eigenen Reihen ermittelt, sondern auch einen Klau nicht ausschließt.

Die Akten bringen das Blut des Datenschützers Bernd Raugust in Wallung, weil Vs-Dokumente nur von geprüften Firmen entsorgt werden dürfen. „In diesem Fall hätte die Polizeidirektion die Unterlagen selbst vernichten müssen“, sagt er. Daß man in Sachsen- Anhalt mit Akten nicht zimperlich umgeht, ist bekannt. In den vergangenen Monaten kam dem Datenschützer mancher Fall zu Ohren, wo Behörden schlampig Unterlagen entsorgt oder Daten weitergegeben haben. In Erinnerung ist auch der Skandal im Magdeburger Wahlamt. Dort lag im August 1994 eine Liste offen aus, die Namen und Adressen von Unterstützern der „Marxistisch-Lenistischen Partei Deutschlands“ enthielt. Auch diese Erkenntnisse wurden ungeniert an Dritte weitergegeben. Annette Rogalla